Der Seelenhändler
verkleiden, lesen das Evangelium!
Es war an der Zeit, sich Klarheit zu verschaffen.
Wolf pochte an die Tür und trat, ohne eine Aufforderung abzuwarten, in die niedrige Kammer.
„Guten Abend“, grüßte er freundlich.
Wie von einer Natter gebissen, sprangen die beiden hoch. Sie hatten auf der Bettkante gesessen und starrten den spätabendlichen Besucher nun entgeistert an.
Heinrich fing sich als Erster wieder.
„Oh … gu…guten Abend … Herr von der Klause … das ist aber … eine Über…Überraschung …“, stotterte er. „Wollt … wollt Ihr … nicht Platz nehmen?“, forderte er Wolf auf und wies auf einen der beiden Hocker, die neben dem Tisch standen. Auf dem anderen – Wolf musste unvermittelt an Alfons, den Schweinehirten denken – lag eine handgeschnitzte Flöte.
Er setzte sich, während sich die beiden Männer wieder auf der Bettstatt niederließen, von der sie zuvor hochgeschreckt waren. Fragend sahen sie ihn an, mit einer eigentümlichen Mischung aus Respekt, Furcht und Misstrauen.
Gelassen erwiderte Wolf ihren Blick.
„Nun, wie geht es Euch, was machen die Schmerzen?“, wandte er sich an den Älteren.
„Die Schmerzen? … Nun ja, Herr … die Schmerzen … sind … sie haben … deutlich nachgelassen. Dank der Behandlung durch die edle Dame. Ich bin ihr sehr dankbar dafür … und Euch natürlich auch. Wer weiß, was mit uns … geschehen wäre, wenn Ihr … nicht zur Stelle … gewesen wärt“, stieß Rudlin gepresst hervor, wobei er versuchte, die Beklemmung zu unterdrücken, die der späte Besuch ihn ihm auslöste.
„Tja, so etwas nennt man Glück im Unglück haben“, erwiderte Wolf lächelnd. Er schlug die Beine übereinander und kreuzte die Arme über der Brust.
Heinrich und Rudlin tauschten einen unsteten Blick, ihre Körpersprache zeigte deutliche Anzeichen von Unruhe. Mit fahrigen Bewegungen strich sich der Alte immer wieder den Bart. Sich mal nach vorne, mal nach hinten beugend, begann der Jüngere auf der Bettkante hin und her zu rutschen. Wolf registrierte die Signale mit Befriedigung. Gegnern, denen die Angst im Nacken saß, war leichter beizukommen.
Er entschloss sich, zum Angriff überzugehen. „Ihr seid also Pilger?“, eröffnete er das Verhör und machte eine Pause. Noch war sein Ton jovial und freundlich.
Kaum hatte er die Frage gestellt, sah er bereits Argwohn in die Augen der Männer treten.
„Ja, natürlich, Herr … wie wir bereits sagten. Wir sind heimkehrende Pilger“, bestätigte Heinrich mit trockenem Mund.
„Aha. Nun gut. Wenn ihr Jakobspilger seid, könnt ihr mir sicher sagen, wie man das Eingangstor zur Sankt-Jakobus-Kathedrale nennt, wie der Name des Berges lautet, von dem aus man sie zum ersten Mal erblickt, und wo die Figur des Apostels steht, die jeder Pilger umarmt. Außerdem werdet ihr doch sicher über eine Urkunde verfügen, die bestätigt, dass ihr dort gewesen seid – nicht wahr?“ Nicht nur Wolfs Lächeln hatte sich gewandelt, auch der Ton seiner Stimme – in beiden lag unverhohlene Ironie.
Rudlin und Heinrich erstarrten regelrecht. Die Blicke, die sie sich zuwarfen, sprachen Bände.
Wolf merkte, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
„Aber, Herr von der Klause, Ihr erstaunt uns. Das klingt ja gerade so, als ob Ihr an uns zweifelt? Ihr könnt doch schon an unserer Kleidung erkennen, dass wir Pilger sind“, entgegnete Rudlin nach einer Weile. Seine Stimme schwankte; tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er fragte sich, an wen sie hier geraten waren. Auch Heinrich schwante Böses. Hatte der Herr etwa entschieden, sie heute Nacht in die Hände ihrer Feinde fallen zu lassen?
Wolf beugte sich ruckartig vor. Seine Stimme hatte nun einen schneidenden Tonfall. „Ihr könnt mich nicht täuschen. Euer Äußeres beeindruckt mich nicht. Ebenso wenig die Muschel, die ihr am Hut tragt. Die könnt ihr von irgendjemandem bekommen haben. Also, beantwortet meine Fragen. Wie nennt man das Eingangstor zur Sankt-Jakobus-Kathedrale? Wie heißt der Berg, von dem aus man sie erblickt? Wie weit ist es von dort bis zur Grabstätte? Wo steht die Figur des Heiligen, die jeder Pilger umarmt? Und wo ist die Urkunde, die bestätigt, dass ihr dort gewesen seid? Zeigt sie mir – und ich hege nicht mehr den geringsten Zweifel.“
Sie sahen sich an. Diesmal lag in dem Blick, den sie wechselten, jedoch nicht nur Furcht, sondern auch entschlossene Renitenz. Nichtsdestotrotz sagten sie nichts. Sie saßen einfach nur da und blickten ihn
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