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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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verloren hattet?“, wandte er sich an den „Onkel“.
    Verkniffen, fast feindselig sah ihn der „Pilger“ an. Seine Finger krallten sich in den Strohsack, auf dem er saß. Sein jüngerer Begleiter hatte sich kerzengerade aufgerichtet, so, als wolle er augenblicklich aufspringen.
    „Herr, bitte, gebt uns das Buch. Es ist unser“, sagte der Ältere auf einmal. Seine Stimme klang fordernd, aber auch heiser vor Erregung.
    „Ich habe nicht die Absicht, euch das Buch wegzunehmen“, antwortete Wolf ruhig, „aber ich will wissen, womit sich falsche Pilger so beschäftigen.“
    Argwöhnisch behielt er die Männer im Auge, während er das Buch aufklappte.
    Das Erste, was er wahrnahm, war ein loses Blatt Pergament, das beim Aufschlagen des Buches fast herausgefallen wäre. Es handelte sich dabei um eine Liste mit in penibler Schrift geschriebenen Namen und Orten. Er überflog sie und hob verwundert die Brauen. Einige der Personen, die dort aufgeführt waren, kannte er; unter anderem Peter Mohr und Konrad Steckelyn. Er schätzte die beiden, sie waren aufrechte, integere Männer. Er legte das Blatt beiseite und begann langsam in dem Buch zu blättern, vorsichtig Seite für Seite wendend.
    Bereits als er die ersten eng geschriebenen Zeilen las, begann er zu stutzen, und doch bestand kein Zweifel an dem, was er da vor sich hatte: den Anfang des Evangeliums nach Matthäus. Er blätterte weiter und entdeckte einige Psalter, dann das Buch Esra. Alle Schriften nicht wie üblich in lateinischer, sondern in deutscher Umgangssprache. Ein Auszug der Heiligen Schrift in der vulgären Sprache des gemeinen Volkes?
    Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Endlich begann er zu begreifen. Er klappte das Buch zu und blickte auf.
    Ketzer!
    Die, die vor ihm saßen, gehörten zu denen, welche die Kirche als Häretiker ansah – Nachfolger des Lyonesers Petrus Valdes, die sich selbst „die Armen Christi“ nannten. Nur Ketzer wie sie konnten es wagen, die heiligen Schriften in der Sprache des Volkes zu besitzen.
    Das erklärte natürlich alles. Die wechselnden Identitäten – die Tatsache, dass sie einmal als Handelsreisende und ein andermal als Pilger verkleidet reisten. Ihr beharrliches Weigern, ihr wahres Ich preiszugeben. Und auch das Widersprüchliche ihres Verhaltens. Einerseits die Ausflüchte, die er sich hatte anhören müssen. Andererseits das Gebet, das er, an der Tür lauschend, mit angehört hatte, und der Wunsch, vor dem Schlafengehen noch einmal im Evangelium zu lesen.
    Er sah die Männer lange an, bevor er zu einer Entschuldigung ansetzte.
    „Ich wusste es nicht“, schüttelte er schließlich den Kopf und legte das Buch behutsam auf die Anrichte zurück. „Ich wusste es wirklich nicht. Obwohl ich es mir hätte denken können. Ihr seid nicht die, für die ich euch hielt. Ihr seid Jünger des Petrus Valdes. Ich bitte euch in aller Form um Verzeihung.“ Seine Stimme hatte einen spröden Klang bekommen.
    Rudlin und Heinrich wussten nicht, wie ihnen geschah. In ihren Mienen wechselten Fassungslosigkeit, aufkeimende Hoffnung und Misstrauen.
    Doch vorerst siegte das Misstrauen. Vor allem bei Heinrich. Ein Scherge der Inquisition, der sich bei den Häretikern, die er verhörte, entschuldigte? Das war nichts weiter als eine raffinierte Finte.
    Wolf bemerkte den zweifelnden Ausdruck in seinem Gesicht. „Ich verstehe euer Misstrauen“, meinte er. „Doch ihr könnt mir vertrauen. Glaubt mir, wenn es jemanden gibt, der sich nicht zu euch zählt und dennoch Achtung vor eurem Mut und eurer Überzeugung hat, dann bin ich es.“
    „Ihr sprecht in Rätseln, Herr.“ Heinrich sah Wolf argwöhnisch an und rieb sich das schmerzende Kinn.
    Auch in den Blicken Rudlins lagen noch immer Zweifel und Furcht.
    Wolf nickte. „Mein Verhalten muss euch rätselhaft erscheinen. Doch könnt ihr euch vorstellen, was es bedeutet, gewissen Personen zu begegnen, von denen ihr glaubt, dass sie die Familie, mit der ihr verbunden wart, sinnlos abgeschlachtet haben?“
    „Aber warum, Herr? Weshalb glaubtet Ihr, ausgerechnet in uns jene Mörder gefunden zu haben?“, wagte Rudlin einzuwenden.
    „Nun, weil ihr euch in vielfacher Hinsicht verdächtig gemacht habt“, antwortete Wolf und begann, die Verdachtsmomente aufzulisten. „Eure Aussage, vor drei Monaten von Santiago aufgebrochen zu sein, konnte nicht der Wahrheit entsprechen. Zudem hattet ihr Alfons gegenüber behauptet, Handelsreisende zu sein. Vier Wochen später seid ihr auf einmal

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