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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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bringen.“
    „Mit anderen Worten: Er stiehlt etwas, wovon er weiß, dass es völlig wertlos ist?“
    „Bedenkt Folgendes: Für uns enthielt die Tasche nichts Wertvolles. Aber für den Dieb. In seinen Augen ist sie wertvoll. So wertvoll, dass er beschließt, sie zu stehlen. Also schleicht er sich des Nachts in die Kammer und bricht die Truhe auf, in der er die Tasche richtigerweise vermutet. Wem aber nur kann sie so wichtig sein? Die Antwort: nur dem Besitzer. Wer anders sollte etwas damit anfangen können? Außerdem konnte nur der, der die Tasche verloren hat, vermuten, dass sie in Lisas Truhe ist – dort, wo die Magd, wie alle hier wissen, verlorene Gegenstände aufbewahrt. Was wiederum bedeutet, dass er mit den Gepflogenheiten auf der Burg gut vertraut ist.“
    „Verstehe ich Euch richtig? Ihr meint, dass der Eigentümer selbst es war? Und sich die Tasche, die er verloren hat, durch einen Einbruch wieder beschafft hat? Warum sollte er das tun? Warum geht er nicht einfach zu Lisa, um bei ihr nachzufragen und sich das, was er verloren hat, zu holen?“
    „Ganz einfach. Weil er nicht will, dass jemand weiß, in wessen Händen sich die Tasche jetzt befindet. Er will um jeden Preis vermeiden, als ihr Eigentümer erkannt zu werden.“
    „Aber warum? Welchen Sinn ergibt das Ganze?“
    „Das weiß ich nicht, Graf. Aber eines weiß ich gewiss: Angesichts dessen, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, sollten wir jedem ungewöhnlichen Ereignis nachgehen. Und dies hier ist sehr wohl ungewöhnlich.“
    Um Terz herum, kurz nachdem er seinen Besuch beim Grafen beendet hatte, stapfte Wolf über den schlammigen Hof zum Gesindehaus hinüber.
    Vor Nässe triefend betrat er das Gebäude, aus dem er erst wenige Stunden zuvor in die Nacht hinausgetreten war – erschöpft, aber um viele Erkenntnisse reicher.
    Kaum dass die Tür hinter ihm wieder ins Schloss fiel, bemerkte er Lisa, die einen Korb frisch geplättetes Leinen die Treppe hinunterschleppte.
    „Oh, Herr Wolf“, ächzte sie schnaufend, während sie vorsichtig die letzten Stufen nahm.
    Er kam gleich zur Sache. „Kannst du mir die Stelle zeigen, wo die Truhe steht, Lisa?“
    „Aber natürlich, Herr.“ Sie stellte den Korb mit dem Leinen ab und hielt sich den Rücken. Wieder ächzte sie. „Wenn Ihr mir folgen wollt?“
    Sie gingen den langen Gang entlang, an dessen Ende die Gesindeküche lag. Daneben befand sich eine Kammer, in die eine niedrige Tür führte. Sie war verschlossen. Lisa zog einen rostigen Schlüssel aus ihrer Schürze und steckte ihn in das Schloss. Sie brauchte eine Weile, bis es endlich aufsprang; Wolf erkannte sofort, dass die Mechanik schon lange nicht mehr in Gebrauch gewesen war.
    „Diese Kammer – du hast sie nie verschlossen gehalten?“
    Lisa blickte verlegen zu Boden. „Nein, Herr, nur die Truhe. Ich weiß, das war sehr leichtsinnig. Aber es ist ja auch noch nie etwas vorgekommen. Als Ihr vorhin sagtet, dass Ihr Euch die Truhe ansehen wollt, und ich dafür sorgen soll, dass niemand vor Euch den Raum betritt, habe ich die Tür schnell verschlossen.“
    In dem Raum war es ziemlich dunkel. Licht fiel nur durch ein kleines viereckiges Loch, das sich knapp unterhalb der Decke in der Wand befand, die zum Burghof hin lag. Unterhalb der Lichtöffnung, an die gekalkte Mauer gelehnt, standen Regale, auf denen sich Töpfe und Schüsseln reihten. An der Wand direkt gegenüber befand sich dagegen nur die aufgebrochene Truhe, die noch immer offen stand, der Deckel lehnte gegen die Mauer. Um sie herum, auf dem Boden, breitete sich ein heilloses Durcheinander von Tüchern, Kleidungsstücken und anderen Gegenständen aus. Die Truhe war offenbar wild durchwühlt worden.
    „Kannst du mir eine Fackel bringen, Lisa?“, fragte Wolf freundlich.
    „Aber natürlich, Herr.“ Bereitwillig watschelte die Magd nach nebenan in die Küche und zog einen mit Werg umwickelten Stab aus einem Weidenkorb, den sie am Feuer, das im Backofen brannte, entzündete.
    Als Wolf damit den festgestampften Lehmboden ableuchtete, fielen ihm als Erstes Fußspuren in Form getrockneten Schmutzes ins Auge. Der Dieb hatte sie hinterlassen, als er, Schlamm und Erde an den Stiefeln, in die Kammer getreten war. Ganz offensichtlich war der Eindringling in der Nacht, nachdem der Regen begonnen hatte, gekommen. Wolf fiel weiterhin auf, dass eine der beiden Stiefelsohlen einen breiten, halbmondförmigen Riss aufwies, der sich ebenfalls im Lehm abgedrückt hatte. Er zog ein Pergament und

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