Der Seelensammler
diese Düfte unauflöslich
miteinander verband. Es waren seine Haut, sein Atem, seine Launen, die diese
chemischen Verbindungen zu etwas ganz Besonderem machten.
Nachdem Sandra nach einem langen Arbeitstag die Haustür hinter sich
zugezogen hatte, wartete sie mehrere Sekunden reglos im Dunkeln. Dann erst
erreichte sie endlich der Duft ihres Mannes.
Sie stellte die Taschen neben den Sessel im Flur: Sie musste ihre
Ausrüstung reinigen, schob es aber wieder einmal hinaus. Sie würde sich nach
dem Abendessen darum kümmern. Stattdessen ließ sie sich ein heißes Bad ein und
blieb in der Wanne, bis ihre Finger ganz verschrumpelt waren. Sie zog ein
hellblaues T-Shirt an und entkorkte eine Flasche Wein. Das war ihre Art, sich
zu betäuben. Sie schaffte es nicht mehr, den Fernseher einzuschalten, und
brachte auch nicht genügend Konzentration für ein Buch auf. Deshalb verbrachte
sie die Abende mit einem Glas Negroamaro auf dem Sofa, den Blick gedankenverloren
in die Ferne gerichtet.
Sie war erst neunundzwanzig und konnte nicht fassen, dass sie
bereits Witwe war.
Die zweite Lektion, die Sandra Vega gelernt hatte, war die, dass
auch Häuser starben, genau wie Menschen.
Seit Davids Tod hatte sie ihn nicht mehr in den Dingen hier in der
Wohnung wahrgenommen. Vielleicht auch, weil das meiste ihr gehörte.
Ihr Mann war freier Fotojournalist gewesen. Er war viel auf Reisen.
Bevor sie sich kennengelernt hatten, hatte er nie das Bedürfnis nach einer
eigenen Wohnung verspürt. Ihm hatten Hotelzimmer genügt, irgendwelche
Zufallsunterkünfte. In Bosnien hatte er sogar einmal in einer Grabnische auf
einem Friedhof geschlafen.
Davids gesamte Habe passte in zwei große grüne Seesäcke. Darin
befand sich seine Garderobe – Winter- und Sommersachen, weil er nie wusste, auf
welche Reportage man ihn schicken würde. Aber auch das verkratzte Notebook, von
dem er sich niemals trennte, und solche Dinge wie das Mehrzwecktaschenmesser
und Akkus fürs Handy. Ja, er hatte sogar immer eine Ausrüstung dabei, mit der
man Urin sterilisieren konnte – für den Fall, dass einmal kein Trinkwasser zur
Verfügung stehen sollte.
David beschränkte sich stets auf das Nötigste. Zum Beispiel hatte er
noch nie ein Buch besessen. Er las wahnsinnig viel, aber sobald er ein Buch
ausgelesen hatte, verschenkte er es. Das änderte sich erst, als er bei ihr
einzog. Sandra hatte Platz für ihn im Regal geschaffen, und ihm gefiel die
Vorstellung, sich eine Bibliothek zuzulegen. Das war seine Art, Wurzeln zu
schlagen. Nach der Beerdigung waren seine Freunde vorbeigekommen, und jeder von
ihnen hatte Sandra ein Buch gegeben, das David ihm geschenkt hatte. In diesen
Büchern standen Anmerkungen, als Lesezeichen dienten Eselsohren, und die Seiten
wiesen kleine Brand- oder Motorölflecken auf. Sandra stellte sich vor, wie er
seelenruhig Calvino gelesen hatte, während er irgendwo unter der sengenden
Wüstensonne neben einem Jeep mit Reifenpanne saß, rauchte und auf Hilfe wartete.
Du wirst ihn ständig vor dir sehen, hatten sie alle gewarnt. Doch
genau das Gegenteil war der Fall. Nie hatte sie geglaubt zu hören, dass er ihren
Namen rief. Nie hatte sie aus Versehen einen Teller zu viel gedeckt.
Was ihr am meisten fehlte, war der gemeinsame Alltag. Die immer
gleichen, banalen Routinehandlungen.
Sonntags war sie in der Regel nach ihm aufgestanden und hatte ihn
dann bereits in der Küche vorgefunden. Dort saß er über seiner dritten
Espressokanne und blätterte, in eine Aniswolke gehüllt, die Zeitung durch: den
Ellbogen auf den Tisch gestützt und die fast abgebrannte Zigarette in der Hand,
so sehr war er in seine Lektüre vertieft. Sobald sie, der Morgenmuffel,
dazukam, fuhr er sich durch sein lockiges, verstrubbeltes Haar und lächelte sie
an. Sie versuchte, ihn zu ignorieren, während sie sich Frühstück machte, aber
David hörte nicht auf, sie albern anzugrinsen, bis sie ebenfalls lachen musste.
Das lag an seinem abgebrochenen Schneidezahn – Folge eines Sturzes vom Fahrrad,
als er sieben Jahre alt war. An der Brille aus falschem Schildpatt, die nur
noch von Klebestreifen zusammengehalten wurde und ihn aussehen ließ wie eine
alte Engländerin. Danach zog David sie auf seinen Schoß und drückte ihr einen
schmatzenden Kuss auf den Hals.
Bei dem Gedanken daran stellte Sandra das Weinglas auf den Tisch
neben dem Sofa. Sie streckte die Hand nach dem Handy aus und rief ihre
Festnetznummer an.
Wie immer informierte die elektronische Stimme sie über eine
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