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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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strahlenden Augen und den faltigen Händen, die einen verzierten Stab hielten, der auf ihrem Schoß lag. Sie grüßte ihn mit einem kurzen Nicken, sodass die Kaurischnecken an ihren grauen Zöpfen leise klackten. Nachdem er sich auch vor dem Oberpriester verbeugt hatte, blieb Huy abwartend stehen. »Du kannst dir den Hocker dort holen und dich zu uns setzen«, sagte der Oberpriester. »Ich habe mir eine merkwürdige und spannende Geschichte über dich erzählen lassen, und ehe ich fortfahre, möchte ich sie noch einmal hören, diesmal aus deinem eigenen Mund.« Huy musste nicht fragen, welche Geschichte gemeint war. Zweifelnd sah er die Rechet an.
    »Das ist in Ordnung, Huy«, sagte Henenu. »Der Oberpriester und ich sind nicht nur alte Freunde, sondern dienen auch gemeinsam den Göttern. Ich habe ihm alles erzählt, und Methen hat meinen Worten die seinen in einem Brief hinzugefügt. Du brauchst keine Angst zu haben.« Sie nahm den Stab und legte ihn demonstrativ auf den Boden. »Ich brauche keinen Schutz vor dir und du nicht vor mir.«
    »Ich habe keine Angst, Rechet« antwortete Huy und stellte fest, dass dies der Wahrheit entsprach. Er zog den Hocker heran, setzte sich darauf und blickte in das aristokratische Gesicht seines Gegenübers. Der Oberpriester wartete bewegungslos, seine mit Ringen geschmückten Hände lagen vor ihm auf dem Tisch. »Du hast sicher von dem Unfall erfahren, der mich am Rand des Sees vor dem Tempel ereilt hat, Meister«, begann Huy. Und dann berichtete er in der gemütlichen, gedämpft beleuchteten Kammer in allen Einzelheiten von den Ereignissen. Der Oberpriester zeigte weder Entsetzen noch Überraschung, und sein Blick flackerte auch nicht, als Huy zu seinem schrecklichen Erwachen im Haus der Toten und seine Rettung durch Methen kam. Das war das einzige Mal, dass Huy bei seiner Erzählung stockte. Als er schließlich geendet hatte, blieb es eine Weile still. Dann schob ihm der Oberpriester einen Wasserkrug hin, und Huy trank durstig.
    Schließlich fragte der Mann ruhig: »Wenn du mich berührst, erfährst du mein Schicksal?«
    »Ja, Meister.«
    »Wirst du das tun?«
    Huy wand sich. Zwei wissende Augenpaare betrachteten ihn eingehend und abschätzend. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Verzeih mir, Meister, aber … nein.«
    »Du hast das für andere getan«, drängte der Oberpriester. »Warum nicht für mich?«
    »Ich habe dieser Bitte nur einmal entsprochen, bei meinem Freund Thutmosis«, antwortete Huy. Trotz des Wassers, das er gerade getrunken hatte, war sein Mund trocken. »Die anderen Male ist es einfach passiert. Es war … es war traurig und kräftezehrend und irgendwie falsch, und ich werde es nur willentlich wiederholen.«
    »Du hast also keine Macht über die Gabe?«
    »Nein. Ich meine, ja«, stammelte Hu. »Also … ich glaube, ich kann sie mir irgendwann Untertan machen, aber im Moment nicht.«
    »Du hast immer noch Angst vor ihr.« Das war Henenus Stimme.
    Huy drehte sich zu ihr um. »Angst, ja. Weil ich nicht weiß, wann sie mich wieder trifft. Weil sie mir Streiche spielt, meine Seele, vielleicht sogar meinen Ka, meinen Ba und meinen Schatten verändert. Alles erscheint mir anders als früher, ehe … ehe …«
    »Ehe du gestorben bist.« Der Oberpriester sprach ganz ruhig. »Gäbe es nicht das Zeugnis so vieler Leute, darunter die Diener im Haus der Toten in Hut-Herib, würde ich deinen Bericht nicht nur anzweifeln, sondern ihn einem bösen und blasphemischen jungen Mann zuschreiben, der nach zweifelhafter Berühmtheit trachtet. Aber die Tatsache, dass du tot warst, ist zu gut bezeugt. Und was alles andere angeht, vertraue ich dem Zeugnis dieser Frau. Sie ist die beste Rechet Ägyptens. Ihre Gabe ist das Erkennen und Bändigen von Dämonen und Geistern. Ihr zufolge bist du von keinem davon besessen. Abzuwarten bleibt, ob die Gabe, die Besitz von dir ergriffen hat, die Wahrheit verkündet.« Seine Augen verengten sich. »Du hattest recht, meiner Bitte nicht zu entsprechen. Das Vermögen, das dir verliehen wurde, darf nicht leichtsinnig genutzt werden.«
    »Aber warum ich?«, platzte Huy heraus. »Meister, ich will dieses Vermögen nicht! Ich bitte nur darum, meine Schulausbildung beenden zu können und ein guter Schreiber zu werden!«
    Die Rechet beugte sich vor und legte die Hand auf seine steife Schulter. »Hör auf, dich zu quälen, Huy«, sagte sie beruhigend. »Den Grund dafür wird die Zeit offenbaren. Bis dahin wollen wir auch, dass du deine Schulausbildung

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