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Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)

Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)

Titel: Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerri Russell
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dass der Schmerz schließlich bis in die Arme strahlte. Verzweiflung, Zorn und Angst stürmten gleichzeitig auf ihn ein. So viel Schmerz, so viel List und Tücke, so viel Blut, das noch vergossen werden würde -; und wofür das alles?
    Wenn er sich gegen den ausdrücklichen Befehl seines Vaters stellte, dann würde ihm das den Tod einbringen. Doch wenn er die Anweisung ausführte, erwartete ihn das gleiche Schicksal. »Ich bewege mich auf des Messers Schneide«, flüsterte er in die Stille. Er senkte den Kopf, überwand seine Verzweiflung und setzte zum Gebet an. Er versuchte, sich die Worte in Erinnerung zu rufen und seinen Mund so zu bewegen, dass sie ihm über die Lippen kamen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Ihm erschien es so sinnlos, ein Leben zu zerstören, nur damit ein anderer Mensch einem Gehorsam entgegenbrachte. Würde ihr Vater jemals aufhören, sie beide zu kontrollieren?
    »Hilf … mir«, brachte er schließlich heraus. Er hoffte, diese wenigen, einfachen Worte würden genügen, um gehört zu werden und eine Antwort zu erhalten.
    Er hob die Hände, um sein Gesicht zu verdecken und die Gefühle zurückzuhalten, die aus ihm herauszuplatzen drohten.
    Er brauchte eine Lösung für sein Problem. Er hatte um Hilfe gebeten, und nun wartete er auf ein Zeichen.
     
    Isobel stand mitten auf dem trostlosen, verlassenen äußeren Burghof und wartete, dass sich ihre Augen an den spätnachmittäglichen trüben Himmel gewöhnten. Dunkle Regenwolken zogen sich über der Burg zusammen, so wie schon zwei Tage zuvor, als Wolf aufgebrochen war. Sie hob eine Schulter, um das schwere Kettenhemd zurechtzurücken, das auf ihr Unterkleid drückte und sich ins Fleisch schnitt. Darüber trug sie ihr edles Kleid, so dass niemand ahnte, was sich darunter befand.
    Aus ihrem tiefsten Inneren schöpfte sie den Mut, dieses Spiel durchzuhalten. Isobel schloss die Augen und konzentrierte sich nicht auf das, was kommen würde, sondern nur auf das Hier und Jetzt. Sie inhalierte den süßlichen Geruch des Regens und der nassen Erde, den Duft nach Ginster und Erika und den Geruch des Granithügels jenseits der Burgmauern. Andere Düfte als auf der Insel, die einmal ihr Zuhause gewesen war, doch inzwischen genauso vertraut.
    Abrupt schlug sie die Augen auf. Jemand bedrohte ihr neues Zuhause und die Menschen, die dort lebten. Ihre Finger legten sich fester um die Armbrust, während sie sich insgeheim wünschte, sie könnte sich stattdessen so an Wolf festhalten.
    Sie liebte ihn. Diese Erkenntnis traf sie im gleichen Moment, als ein weiterer Donnerschlag den Boden unter ihren Füßen erzittern ließ. Der Wind frischte auf und trieb kalte Luft über den Burghof. Dennoch breitete sich unter ihrer Haut eine wohlige, sanfte Wärme aus, die die Kälte erfolgreich vertrieb.
    Sie würde alles tun, um das festzuhalten, was sie hier hatte -; einen Ehemann, eine Familie. Um die Gewissheit zu haben, dass sich ihr nichts in den Weg stellen konnte, musste sie mit den anderen offen und ehrlich umgehen. Wolf und die anderen mussten wissen, wer sie wirklich war. Auch wenn sie deswegen womöglich alles verlor, würde sie ihm die Wahrheit sagen, sobald er zu ihr zurückkehrte.
    Falls sie ihn jemals wiedersehen sollte.
    Isobel verscheuchte diesen trübseligen Gedanken, während sie sich über den Burghof bewegte, bis sie nur noch fünfzig Schritt vom Tor entfernt war. Sie musste stark sein, mehr denn je zuvor. Ob die Gefahr von außen oder aus dem Inneren der Burg drohte -; an diesem Punkt auf dem Burghof würde es ihr möglich sein, sich zur Wehr zu setzen und zu enthüllen, von wem diese Bedrohung ausging.
    Sie straffte die Schultern und wartete. Sie hatte alle anderen in die Feste geschickt und sich von ihnen hoch und heilig versprechen lassen, dass sie Fenster und Türen verriegeln würden. Gegen den Widerstand der anderen hatte sie ihnen keine andere Wahl gelassen, als ihrem Plan zuzustimmen, der ihre Sicherheit gewährleistete. Sie selbst konnte sich in Gefahr begeben, solange sie wusste, dass den anderen nichts geschehen konnte.
    Ihr Blick war auf das offene Tor gerichtet. Was würde sie tun, wie würde sie reagieren, wenn sie zum ersten Mal ihrem Vater gegenübertrat? Würde sie ihn überhaupt erkennen?
    Ein Blitz ließ sie zusammenschrecken, sie fasste die Armbrust anders, die ihr half, ihre Gedanken zu konzentrieren. Ob sie sein Gesicht erkannte, war bedeutungslos. Sie würde andere Dinge bei ihm wiedererkennen – seine Grausamkeit, sein

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