Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
galt auch als eifriger Verteidiger und Beschützer der Unschuldigen. Und Isobel traf bei den Dingen, die ihr widerfahren waren, ganz sicher keine Schuld.
»Und dann holt den Priester her.« Allein diese Worte auszusprechen bereitete ihm ein fremdartiges Gefühl in der Brust. »Er wird heute Abend entweder eine Ehe schließen oder die Letzte Ölung vornehmen.«
Beides war möglich, und der bloße Gedanke daran ließ Wolf zwischen Hoffen und Bangen hin und her schwanken.
Eine Hochzeit oder eine Beerdigung. Nur die Zeit würde zeigen, was es sein sollte.
Dreizehntes Kapitel
»Sie wird das Gift überleben.« Brahan nahm den Schicksalsstein von seiner Stirn und schlug die Augen auf, womit die Verbindung zu den Bildern unterbrochen wurde, die in seinem Kopf umherschwebten.
Wolf hielt inne und sah seinen Freund forschend an. »Ganz sicher?«
»Aye, die Bilder sind klar und deutlich.« Er sah zu dem Bett, auf dem Isobel lag. Die blasse und leblos wirkende Gestalt würde sich bald regen, und ihre Wangen würden wieder Farbe kriegen. Das Bild war klarer gewesen als jede bisherige Vision.
Er machte einen Schritt auf Isobel zu, woraufhin der Stein wärmer wurde. Brahan ging weiter, bis er an ihrem Bett stand. Der Schicksalsstein leuchtete in einem intensiven Rot, aber er verbrannte ihm nicht die Haut. Stattdessen hatte die Wärme eine beruhigende Wirkung auf seine Seele, und es kam ihm fast so vor, als sei es die Bestimmung des Steins, sich in der Nähe dieser Frau zu befinden.
»Was machst du mit dem Stein, Brahan?«, wollte Wolf wissen.
Er ging einen Schritt zurück, der Stein kühlte sich ab. Ein Schritt nach vorn, und die Wärme kehrte zurück. »Ich mache gar nichts. Das liegt einzig an ihr.«
Wolf betrachtete die reglos daliegende Isobel, und erst jetzt fiel ihm etwas auf, das er bislang übersehen haben musste. Um den Hals trug sie ein dünnes Lederband, daran hing ein aus Lederstreifen bestehendes Netz – in dem sich wiederum ein kleiner rot pulsierender Stein befand.
Er stellte sich zu ihr ans Bett und nahm den leuchtenden Stein hoch, dessen Wärme auf seine Finger übersprang. »Sie trägt auch einen Stein. Existieren zwei Schicksalssteine? Oder ist das hier etwas ganz anderes?« Er sah zu Brahans Schläfe und stellte fest, dass sich diesmal die weiße Haarsträhne nicht verändert hatte, die sich sonst nach jedem Gebrauch des Steins etwas weiter ausdehnte. »Was hat das zu bedeuten?«
Brahan schüttelte den Kopf. »Ich habe nie etwas von einem zweiten Stein gehört, aber dass ihr Stein auf meinen reagiert, muss etwas zu bedeuten haben. So hat sich mein Schicksalsstein noch nie verhalten.«
»Kannst du weiterhin sehen, was sich ereignen wird?«
Er nickte. »Durch ihren Stein sind die Bilder viel klarer. Ich frage mich, wie das möglich sein kann.«
Wolf legte den Stein zurück auf ihre Brust. »Damit beschäftigen wir uns später. Jetzt muss ich erst einmal wissen, wer versucht, ihr etwas anzutun.«
»Und das wirst du auch erfahren.« Brahan schloss die Augen und drückte den Stein auf seine Stirn. Lichtprismen wirbelten vor seinem geistigen Auge. Farben verschmolzen durch Raum und Zeit hindurch, während sie versuchten, Bilder von Zukünftigem und Vergangenem darzustellen.
»Wer versucht sie zu ermorden?« Wolfs Stimme war wie eine Brise, die durch Blätter eines Baums wehte.
Brahan wartete, richtete seine Energie auf die Visionen und versank tiefer in Trance, bis alle Geräusche verstummten und nur noch sein gleichmäßiger Herzschlag zu hören war. »Ich sehe eine große, schlanke Frau … sie ist in Schwarz gekleidet und sie unterhält sich mit einer jüngeren Frau … einem Dienstmädchen aus deiner Küche. Nein, jetzt ist das Bild weg. Die Visionen sind klarer als jemals zuvor, aber sie zucken so schnell vorbei, dass ich nicht alle Einzelheiten erkennen kann.« Erfolglos versuchte Brahan, die Bilder langsamer an sich vorbeiziehen zu lassen.
»Konzentriere dich nur auf das, was dir möglich ist«, ertönte Wolfs Stimme.
»Ich sehe zwei Tartans. Einer ist rot und grün wie der des Stewart-Clans, der andere ist blau, grün und schwarz.« Brahan konzentrierte sich noch stärker, um die Bedeutung des Bildes zu ergründen. »Beide Tartans liegen auf einer Lichtung … nein, auf einem Schlachtfeld. Sie sind ineinander verschlungen und mit Blut getränkt.« Sein Instinkt riet ihm, sich von dieser Vision zurückzuziehen, die sich vor ihm entfaltete, doch stattdessen setzte er alles daran, sie
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