Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
Fallgitter.
Er hätte gerne mit einem entschiedenen Ja geantwortet, doch er wusste, es war nicht so. Bereits zweimal war seit ihrer Ankunft ein Anschlag auf ihr Leben versucht worden. »Nein.«
Ein entschlossener Ausdruck prägte ihre Gesichtszüge. »Dann helft mir in den Sattel und veranlasst, dass das Tor geöffnet wird.«
Ihr energischer Tonfall überraschte ihn. Was war aus dem schüchternen, fast zerbrechlich wirkenden Geschöpf geworden, das sie von der Insel geholt hatten? Die Ritter schienen ganz ihrer Meinung zu sein und brachten ihre Pferde in eine geschlossenere Formation. Zwar hatten sie sich auf Isobels Befehl hin versammelt, dennoch warteten sie darauf, dass Brahan zustimmend nickte, damit sie losreiten konnten.
»Wisst Ihr denn, wie man ein Pferd reitet?«, fragte Brahan.
»Wie schwierig kann das schon sein? Man setzt sich auf den Rücken des Tiers und hält sich fest.« Neuerliche Entschlossenheit blitzte in ihren Augen auf.
»Ja, das ist so gut wie alles«, gab Brahan ironisch zurück, umfasste ihre Taille und beförderte sie mit Schwung zurück in den Sattel.
Sie fand ihr Gleichgewicht, fühlte sich aber noch genauso unwohl wie zuvor. Brahan klopfte auf den Sattelrand. »Haltet Euch dort fest, das wird Euch helfen, die Balance zu wahren.«
Als sie seinen Vorschlag befolgte, wirkte sie sofort etwas ruhiger. »Schon viel besser, vielen Dank.«
Brahan saß auf dem Pferd neben ihr auf, da ihre plötzliche Wandlung ihn zum Handeln anspornte. Sie reckte entschlossen das Kinn, straffte die Schultern und strahlte Selbstbewusstsein aus, obwohl das erst ihr zweiter Versuch war, auf einem Pferd zu reiten. Dabei saß sie so kampfbereit auf dem Tier, dass sie anstelle ihres wallenden grünen Kleids ein Kettenhemd und dazu ein Schwert hätte tragen sollen. Aber sie war weder auf die eine noch die andere Weise geschützt.
Ohne einen Gedanken an die eigene Sicherheit hatte sich das scheinbar wehrlose Mädchen von der Insel in eine Frau verwandelt, die vom Geist eines wahren Kriegers beseelt war. Sie war Wolfs Kriegerbraut.
»Öffnet das Tor«, rief Brahan, dann wurde das Fallgitter hochgezogen. Isobel trieb ihr Pferd an, um in Richtung der Wälder zu reiten. Die Ritter nahmen hinter ihr Formation ein und waren bereit, sie mit ihrem Leben zu beschützen.
Brahans Sinne waren auf das Äußerste gespannt, als sie sich allmählich der Grenze zu Granges Land näherten, das auf der anderen Seite des Waldes begann. Durch die Baumkronen fiel das Sonnenlicht in feinen Strahlen auf den Waldboden. Die Pferde zertraten mit ihren Hufen die Reste der angesammelten Eibennadeln, von denen ein intensiver, stechender Geruch ausging.
Diesen Teil des Waldes hatte er seit vielen Jahren nicht mehr aufgesucht. Damals war er noch ein kleiner Junge gewesen, und er hielt sich dort vor den Männern versteckt, die sein Dorf überfallen hatten, um jeden zu ermorden, der dort zu Hause war. In seinen Erinnerungen sah er überall nur Blut, das Blut der Toten, das vor so langer Zeit in den Boden gesickert war. Und er sah die verstreut herumliegenden Waffen, die nicht genügt hatten, um sich gegen die angreifende Streitmacht zur Wehr zu setzen. Alle waren sie tot – jeder, den er gekannt, und jeder, den er geliebt hatte. Inmitten der Leichen war er dann auf seine ermordete Mutter gestoßen.
Danach klaffte eine Lücke in seinem Gedächtnis, und er erinnerte sich nur, dass er aufwachte, weil ihn jemand anstieß. Es war weder seine Mutter gewesen noch ein Feind, der sein Schwert auch gegen ihn richten wollte. Es war der verständnisvolle, mitfühlende Wolf gewesen, der ihn inmitten der Toten fand und ihn aus diesem Alptraum wegbrachte. Der Junge hatte seine Mutter angefleht, damit sie Brahan in ihren Haushalt aufnahm.
Lady Marion hatte ihm eine Arbeit gegeben, indem sie ihn zum Knappen ihres Sohnes machte. Da sie ihm als Waisenjungen einen Platz in ihrer Familie gab, schenkte sie ihm ein Zuhause, und er und Wolf waren seit dieser Zeit unzertrennlich.
»Ihr seid sehr ruhig«, stellte Lady Isobel fest, nachdem sie ihr Pferd an seine Seite dirigiert hatte.
Brahan erschrak, da er so sehr in seine düsteren Gedanken versunken war, doch dann schüttelte er diese Erinnerungen ab, wie er es immer machte, um nicht weiter an diese finstere Episode aus seiner Jugend zu denken. »Ich habe nur nachgedacht, was Ihr darüber gesagt habt, dass Wolf Hilfe braucht.«
»Er benötigt unsere Unterstützung, das weiß ich ganz sicher.«
»War Eure
Weitere Kostenlose Bücher