Der Semmelkoenig
nach dem Sicherheitsgurt und schnallte sich vorbildlich an.
»So, und nun genug getrödelt. Gib Gummi!«
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Mit quietschenden Reifen fuhr er los; viel zu schnell für den Igel, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, genau in diesem Moment die Straße zu überqueren.
»Mann, pass doch auf!«, brüllte Claudia Hubschmied.
Sie hatte den kleinen huschenden Schatten gesehen und ohne zu überlegen, ins Lenkrad gegriffen. Der Wagen schlingerte gefährlich nach links und wäre dabei beinahe mit dem Krankenwagen zusammengestoßen, der auch viel zu schnell um die Kurve gerast kam. Eine Vollbremsung auf beiden Seiten konnte zum Glück das Schlimmste verhindern.
»Scheiße und jetzt hättest du fast auch noch den Krankenwagen gerammt!«, beschuldigte Claudia ungerechterweise und mit viel zu schriller Stimme Krautschneider.
»Aber … aber … du hast doch …«
Seine Verteidigung stieß auf taube Ohren und der Fahrer der Ambulanz hatte auch noch die Dreistigkeit, ihm einen Vogel zu zeigen. Jetzt tauchte der Kopf von Doktor Frank zwischen den Sitzen auf, und er schien mehr als ungehalten; war er doch bei der Vollbremsung nach vorne geschleudert worden und hatte sich dabei eine dicke Beule zugezogen.
»Was soll denn das? Ja, habt ihr Tomaten auf den Augen? Wir hatten eindeutig Vorfahrt«, konnte man seine Empörung trotz geschlossener Fenster hören.
Ein entschuldigendes Winken von Claudia wirkte jedoch Wunder. Man setzte zurück, ließ einander passieren und fuhr seiner Wege. Leider hatte Krautschneider trotz Claudias Eingreifen den Igel mit dem rechten Vorderreifen leicht erwischt. Das Tier war im hohen Bogen auf die andere Straßenseite geflogen, wo es etwas benommen versuchte, wieder auf die Füßchen zu kommen. Seine Chancen standen gar nicht schlecht, trotz leichter Verwundung noch in den Schutz der nahen Hecke zu gelangen, aber der Igel war eindeutig zu langsam für den Krankenwagen, der zügig genau an der Stelle, wo das Tier sich gerade abmühte, auf den Bordstein zu klettern, zum Stehen kam. Das Leben konnte manchmal wirklich grausam sein.
»Schnell, Herr Doktor!«, rief Andreas, der gleich zwei Stufen auf einmal nehmend zum Auto gelaufen war und jetzt die Tür aufriss. »Meine Tochter. Sie müssen meine Tochter retten!«
Bevor der Arzt etwas entgegnen konnte, ertönte ein entsetzter Schrei. Sybille hatte im ersten Augenblick geglaubt, dass ihr Herz aufgehört hätte zu schlagen, als sie beobachtete, wie die Ambulanz vor ihrem Haus hielt. Dann hatte sie Andreas gesehen. Arzt und Ehemann wurden fast von ihr umgerannt, so schnell war sie über die Straße gelaufen.
»Was is hier los?«, fragte sie vollkommen außer Atem, wollte vorbei, wurde aber von Andreas zurückgehalten.
»Lass mich los! Lass mich sofort los! Ich muss zu meinen Kindern!«, schrie sie verzweifelt.
»Frau Möller.«
Doktor Frank war mit Fug und Recht stolz auf seine einmalige Stimme, die es immer wieder schaffte, selbst die aufgebrachtesten Menschen in eine Art Trancezustand zu versetzen. Auch hier vollbrachte sie wieder Wunder, denn Sybille schaute ihn plötzlich still geworden und mit großen Augen an.
»Frau Möller, ich werd da jetzt mal sofort nachschaun«, fuhr der Arzt fort. »Und ich versichere Ihnen, ich werde alles für Ihre Kleine tun. Aber nur, wenn Sie mir nicht im Weg stehen und mich in meiner Arbeit behindern. Bleiben Sie also erst mal hier bei Ihrem Mann und in ein paar Minuten kann ich Ihnen Genaueres sagen. Wo is denn das Zimmer?«
»Die Treppe rauf, zweite Tür links«, antwortete Andreas mit monotoner Stimme.
Er sah dem Arzt nach, während seine Hände immer noch Sybilles Schultern umklammert hielten, als wäre sie sein Anker, seine Rettung. Nach einer Weile setzte er mit heiserer Stimme zur Erklärung an.
»Die Jenny!«, Tränen liefen über seine Wangen. »Die Jenny hat Tabletten genommen. Nein, eigentlich hat Kevin sie ihr gegeben, nachdem er sie gefesselt hatte. Ich bin grad ins Kinderzimmer gekommen, als er auch noch versucht hat, sie anzuzünden.«
»Oh mein Gott!«, Sybille starrte ihn entsetzt an. Auch sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte laut auf.
»Sybille, Sybille, keine Panik! Sie hat noch geatmet und der Arzt is ja jetzt da!«
»Und wo is Kevin?«
»Der is bei der Köchin. Ihm geht es gut!«
Er hatte sie nun in die Arme genommen und fest an sich gezogen. Sie zitterte am ganzen Körper, wollte ihn im ersten Moment von sich stoßen, hatte
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