Der Sensenmann
vorkam wie in einem Alptraum.
In ihrem Mund sammelte sich der Speichel. Sie schluckte ihn.
Stieß oder drückte er zu?
Nein, das Geschöpf ließ Sarah warten. Es wollte Spannung in ihr Sterben hineinbringen.
Der Tod lag kalt an ihrem Hals. Da war der Sensenmann gekommen, um sich ein Opfer zu holen.
Sarah hielt die Augen nicht mehr ganz geschlossen und wunderte sich darüber, daß sie nicht zitterte.
Das Blatt der Sense war mehr zu spüren als zu sehen. Kälte kroch von der Kehle her in ihren Körper hinein, aber den entscheidenden Schritt ging der Sensenmann nicht weiter.
Er begann zu sprechen.
Sarah hörte die Worte. Dabei hatte sie mehr den Eindruck, als kämen sie auf dem Off. Irgend jemand im Hintergrund redete mit ihr, aber sie wußte auch, daß es keine dritte Person in der Nähe gab. Es war der Sensenmann, der durch die Sprache mit ihr Kontakt aufgenommen hatte.
Sarah war auch in der Lage, den Mund zu öffnen. Die ersten Worte hatte sie gehört, jetzt konnte sie auch die Bewegungen der Lippen genauer verfolgen.
Das heißt, von Thann redete nicht so wie ein normaler Mensch. Seine Worte drangen tief aus der Kehle. Irgendwo im Brustkasten wurden sie geboren. Sie hörten sich grollend und knarrend an. Der Sensenmann wiederholte noch einmal seine ersten Worte.
»Du befindest dich in meiner Gewalt«, erklärte er mit dem knarrenden und hohl klingenden Organ. »Niemand nimmt dich mir weg, und ich wäre jetzt in der Lage, dich zu töten. Ein Druck reicht. Die Sense würde dir den Kopf vom Körper trennen.«
Sarah sprach zwar recht gut Deutsch, trotzdem hatte sie Schwierigkeiten, jedes Wort zu verstehen. Aber die Worte hatten ihr auch ein winziges Stück Hoffnung zurückgegeben. Von Thann kam es nicht darauf an, sie zu töten, und er tat es bestimmt nicht aus lauter Menschenfreundlichkeit, denn sie sah bereits einen Plan dahinter. Es kam ihm nicht nur auf sie an, es gab andere Gegner, an die er herankommen wollte.
»Dann tu es doch«, flüsterte sie, um den Sensenmann auf die Probe zu stellen.
»Nein, noch nicht. Vielleicht später. Ich brauche dich noch. Du bist mir einfach zu wichtig…«
»Was hast du mit mir vor?«
»Ich werde dich mitnehmen.«
»Wohin?«
»Du wirst alles erleben – alles…« Im nächsten Augenblick faßte er mit der freien Hand zu. Er legte die Hand auf Sarahs Schulter und drückte die Finger nach unten. Es war ein harter Druck. Er preßte die Haut zusammen. Die Finger schienen aus starren Knochen zu bestehen, die sich nur gesenkt hatten.
Lady Sarah holte tief Luft. Der Atem schien in ihrer Brust zu brennen. Obwohl sie festgehalten wurde, überkam sie der Schwindel, und der Sensenmann zerrte sie zu sich heran. Sie wurde gegen den harten Körper gepreßt, wobei die Waffe jetzt von ihrem Hals verschwunden und nach unten gerutscht war.
Einen Moment später huschte der Griff wieder hoch.
Er traf ihren Kopf.
Es war wie eine Explosion. Sie sah tatsächlich Sterne, dann gaben die Beine nach, und Sarah Goldwyn rutschte zu Boden.
Ludwig von Thann war zufrieden. Darauf deutete auch sein Knurren hin. Er bückte sich und zerrte die Frau in die Höhe. Dann ging er mit ihr weg. Um den Toten kümmerte er sich nicht…
Wir waren über die Bischofsmühlbrücke gefahren, danach durch einen Teil der Baniberger Altstadt und schließlich parallel zur Regnitz hin. Die Straße war eng, führte am Ufer entlang, und Kommissar Hinz machte mich auf eine Ansammlung von Gebäuden am anderen Ufer aufmerksam.
»Alte Häuser«, erklärte er. »Sie wurden renoviert. Seit ich denken kann, wird dieses Gebiet Klein Venedig genannt. Besonders im Sommer ist es eine wahre Pracht, die Häuser anzuschauen, da sind sie wunderbar beleuchtet.«
»Waren es Fischerhäuser?«
»Ja, damals.« Uwe Hinz nickte. »Man war früher nicht glücklich über die Häuser, weil dort die ärmeren Menschen lebten. Standesdünkel gab es immer, und ihn wird es auch immer geben. Die Menschen sind eben so. Daran wird sich nichts ändern.«
»Leider.«
Mein Ziel lag nicht weit von unserem Hotel entfernt. Ich war auf der kurzen Fahrt sehr einsilbig gewesen, weil ich immer wieder an meine Freundin Lady Sarah denken mußte. Sie hatte sich allein auf den Weg gemacht, und sie gehörte zu den Zeugen, die den Sensenmann gesehen hatten, ebenso wie Maria Much. Wer sich zu stark um ihn kümmerte, der verlor sein Leben. Der Gedanke auf Sarah umgesetzt, bereitete mir schon einiges an Herzklopfen, und ich merkte auch, daß meine Hände nicht
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