Der Sensenmann
Krempe des Schlapphuts nach unten gebogen war, ließ sie viel von seinem Gesicht frei, über das sich eine alte, graue, aschige Haut zog, die wie mit einem Messer oder einer Rasierklinge eingeritzt zu sein schien, denn sie bestand aus einem Muster aus Falten. Es zog sich längs und quer über sein Gesicht und bildete um die dicken Lippen herum einen kleinen Kranz.
Die hohe Stirn, die kräftige Nase, all das war für sie nicht so von Bedeutung. Sie wollte der unheimlichen Gestalt in die Augen schauen und sehen, ob es darin so etwas wie Leben gab.
Sie bewegten sich nicht. Die Pupillen blieben kalte, weißgraue Kugeln. Sie sahen auch nicht echt aus, sondern starrten wie zwei blasse Steine nach vorn.
Haare waren unter dem Hut nicht zu sehen. Sarah konnte sich vorstellen, daß auch sie die graue, alte, verbrannt wirkende Farbe angenommen hatten. Nach Rauch roch der Sensenmann nicht. Der Geruch, der Sarah entgegenwehte, erinnerte sie mehr an den auf einem feuchten Friedhof nach einem kräftigen Regen.
Alte, lehmige Erde. Der Rest von abgestorbenen Pflanzen und auch Verwesung.
Er war zwei Schritte vor der Horror-Oma stehengeblieben und tat auch nichts, um auf sie zuzugehen, denn für ihn war das genau die richtige Entfernung.
Über der rechten Schulter lag die Sense, über der linken der Tote. Aus der Wunde fiel wieder ein Tropfen, und beim Auftreffen gegen den Boden zuckte die Horror-Oma zusammen. In ihr steckte eine tiefe Kälte.
Sie fühlte sich wie ein Gebilde aus der Tropfsteinhöhle und war nicht in der Lage, sich zu bewegen.
Der Sensenmann bewegte sich. Die Sense blieb dabei starr, aber über die linke Schulter hinweg ließ er den leblosen Körper gleiten, der plötzlich nach unten fiel und aufschlug. Es war ein Laut, der Sarah zittern ließ. Er hatte so etwas Endgültiges an sich, wie das Aufschlagen der Graberde auf den Sargdeckel. Der Tote rollte noch herum und blieb halb auf dem Rücken liegen, den starren Blick schräg gegen die Decke gerichtet. Sarah sah, daß die Klinge der Sense seine Kehle durchschnitten hatte.
Und genau diese Waffe bewegte jetzt der Unheimliche. Es passierte sehr langsam. Er hatte soviel Zeit und wollte den Schrecken noch steigern. Sarah ließ den Blick nicht von der Waffe. Sie hörte genau, wie der Griff rutschte, dann wurde die Waffe wieder angehoben und der stählerne Halbmond funkelte dicht vor ihren Augen.
Wäre sie jünger gewesen, hätte sie noch einen Fluchtversuch gewagt. So aber mußte sie einfach stehenbleiben und sich ihrem Schicksal ergeben, mit einem schrecklichen Tod in diesem Raum, so daß auch aus ihrer Kehle noch die letzten Tropfen Blut sickern würden.
Der Sensenmann bewegte die Waffe. Sarah wurde deren Schärfe bewußt. Sie sah auch noch das Blut des Toten daran kleben, und für einen Moment erschien die breite Seite der Klinge dicht vor ihren Augen, so daß sie sich darin sehen konnte wie in einem Spiegel, der jede Einzelheit wiedergab.
Von Thann schlug nicht zu. Er spielte weiterhin mit ihr, und er ließ Sarah in das eigene Gesicht schauen. Danach ließ er die Waffe sinken, ohne die Frau berührt zu haben.
Es gab keinen Grund für Sarah, aufzuatmen, denn die Waffe, die kurz über den Boden hinwegstreifte, wurde wieder angehoben. Jetzt sah sie die alten Hände, die sich um den Griff geklammert hatten. Die Finger hatte von Thann zusammengelegt. Sie erinnerten an graues Gestein, aber es steckte trotzdem Leben darin.
Von Thann hob die Waffe wieder an. Sarah schielte nach lmks. Von dort aus schwang sie in die Höhe und war nicht weit zuerst von ihrem Körper und danach von ihrem Gesicht entfernt. Sogar der Luftzug streifte über ihre Haut hinweg, und Sarah erschauerte. Sie hatte eine Gänsehaut, sie spürte das Kribbeln auf der Kopfhaut, und dann mußte sie den Blick senken, um die Klinge zu erkennen. Der Sensenmann hatte sie gedreht, so daß Lady Sarah wieder ihr eigenes Spiegelbild sah.
Er drückte sie nach vorn.
Wieder streifte ein leichter Luftzug über das Kinn hinweg – bis es dann zu einer Berührung kam. Plötzlich spürte sie das kalte Metall an ihrer Haut. In einem Reflex schloß Sarah die Augen, weil sie darauf wartete, daß die Klinge ebenfalls in ihre Kehle hinemschneiden könnte, um sie zu töten.
Warum sollte sie verschont werden?
In diesen so fürchterlich langen Sekunden war Sarah nicht mehr sie selbst. Hier lief alles an ihr vorbei. Die Realität existierte nicht mehr, sie war so weit zurückgedrängt worden, daß sich die Horror-Oma
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