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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sich je ein Ritter derart zum Narren gemacht? Dunk der Blödian, dumm wie Bohnenstroh und langsam wie ein Auerochse.
    Ihm war nicht gestattet worden, mit Ei zu sprechen, seit Lord Ashfords Soldaten sie alle beim Marionettentheater festgenommen hatten. Noch mit Raymun, Tanselle oder einem anderen, nicht einmal mit Lord Ashford selbst. Er fragte sich, ob er je einen von ihnen wiedersehen würde. Denkbar, daß sie ihn bis zu seinem Tod in dieser kleinen Zelle schmachten ließen.
    Was hatte ich denn erwartet? fragte er sich verbittert. Ich habe den Sohn eines Prinzen niedergeschlagen und ihm ins Gesicht getreten.
    Unter diesem grauen Himmel würden die wallenden Gewänder der hochgeborenen Lords und großen Kämpen nicht mehr ganz so prachtvoll aussehen wie am Tag zuvor. Die Sonne, die sich hinter Wolken verbarg, würde nicht auf ihren Helmen aus Stahl gleißen oder ihre goldenen und silbernen Ornamente funkeln lassen, aber dennoch wünschte sich Dunk, er könnte in der Menge sein und dem Turnier zusehen. Es wäre ein guter Tag für Heckenritter, für Männer in schlichten Kettenhemden auf ungepanzerten Pferden.
    Wenigstens konnte er sie hören. Die Hörner der Herolde trugen weit, und von Zeit zu Zeit verriet ihm ein Aufschrei der Menge, daß jemand gefallen oder aufgestanden war oder etwas besonders Kühnes gemacht hatte. Er hörte auch leisen Hufschlag, und sehr vereinzelt einmal das Klirren von Schwertern oder das Knacken einer brechenden Lanze. Dunk zuckte jedesmal zusammen, wenn er das letztere hörte; es erinnerte ihn an das Geräusch von Tanselles Finger, als Aerion ihn gebrochen hatte. Auch andere, nähere Geräusche waren zu hören: Schritte auf dem Flur vor seiner Tür, das Stampfen von Hufen unten im Hof, Rufe und Stimmen von den Schloßmauern. Manchmal übertönten sie das Turnier. Dunk dachte sich, daß das auch nichts ausmachte.
    »Ein Heckenritter ist die wahrhaftigste Art Ritter«, hatte ihm der alte Mann vor langer Zeit einmal gesagt. »Andere Ritter dienen den Lords, die sie bezahlen oder von denen sie ihr Land gepachtet haben, aber wir dienen, wem wir wollen, dienen Männern, an deren Sache wir glauben. Jeder Ritter schwört, die Schwachen und Unschuldigen zu beschützen, aber ich glaube, wir erfüllen diesen Schwur am besten.« Seltsam, wie deutlich ihm diese Erinnerung vorkam. Dunk hatte die Worte fast vergessen. Und der alte Mann vielleicht auch, gegen Ende.
    Der Morgen wurde zum Nachmittag. Die fernen Geräusche des Turniers wurden spärlicher und verstummten. Dämmerung senkte sich über die Zelle, aber Dunk saß immer noch auf der Fensterbank, schaute in die zunehmende Dunkelheit hinaus und versuchte, seinen leeren Magen zu ignorieren.
    Und dann hörte er Schritte und das Klirren von Schlüsseln aus Eisen. Er reckte sich und stand auf, als die Tür geöffnet wurde. Zwei Wachen kamen herein, einer mit einer Öllampe. Ein Diener folgte mit einem Tablett voll Essen. Dahinter kam Ei. »Laßt Lampe und Essen hier und geht«, befahl ihnen der Junge.
    Sie befolgten den Befehl, aber Dunk bemerkte, daß sie die schwere Holztür nur anlehnten. Der Duft des Essens machte ihm bewußt, wie ausgehungert er war. Es gab warmes Brot und Honig, eine Schüssel Haferbrei, eine Schale mit Röstzwiebeln und durchgebratenes Fleisch. Er setzte sich vor das Tablett, riß das Brot mit den Händen entzwei und stopfte sich etwas davon in den Mund. »Kein Messer«, stellte er fest. »Haben sie geglaubt, ich würde dich erstechen, Junge?«
    »Sie haben mir nicht gesagt, was sie gedacht haben.« Ei trug ein tailliertes enges Wams aus schwarzer Wolle mit langen, von roter Seide gesäumten Ärmeln. Auf der Brust prangte der dreiköpfige Drache des Hauses Targaryen. »Mein Onkel sagt, ich muß Euch demütig um Verzeihung bitten, weil ich Euch getäuscht habe.«
    »Dein Onkel«, sagte Dunk. »Das wäre Prinz Baelor.«
    Der Junge sah kläglich drein. »Ich hatte nie vor, zu lügen.«
    »Aber das hast du. In allem. Angefangen mit deinem Namen. Ich habe noch nie von einem Prinzen Ei gehört.«
    »Das ist die Kurzform von Aegon. Mein Bruder Aemon hat mich Ei getauft. Er ist jetzt in der Zitadelle und lernt, ein Maester zu sein. Und Daeron nennt mich manchmal auch Ei, und meine Schwestern tun es ebenso.«
    Dunk hob den Fleischspieß und biß ein Stück ab. Ziege, mit einem vornehmen Gewürz, das er noch nie zuvor gekostet hatte. Fett lief ihm am Kinn hinab. »Aegon«, wiederholte er. »Natürlich Aegon. Wie Aegon der Drache. Wie viele

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