Der Siegelring - Roman
stellte die Pferde im Stall einer Taverne unter, und sie betraten zu Fuß die geschäftige Stadt durch das südlichste der neun Tore.
Die Hauptdurchgangsstraße verlief schnurgerade von Süden nach Norden. Der Verkehr war dicht, Karren rollten in beide Richtungen, hochbeladene Lasttiere wurden von fluchenden Treibern geführt, Lastträger schleppten Säcke, Amphoren und Bündel. Dazwischen schlenderten Müßiggänger und Tempelbesucher, die peinlich darauf bedacht waren, Abstand von den arbeitenden Menschen und Tieren zu wahren.
»Was für ein Gewimmel!«
»Unbeschreiblich!«
Zu mehr Konversation waren Annik und Martius erst einmal nicht in der Lage. Sie bestaunten die Säulenhalle des Kapitols, betraten den Tempel jedoch nicht, sondern schlenderten am Forum vorbei zu der vorgelagerten Rheininsel, wo Boote und Schiffe der unterschiedlichsten Formen angelegt hatten. Dann drangen sie weiter in die Mitte der Stadt vor, wo entlang der Häuserzeilen Läden, Buden und Werkstätten lockten.
Sie kamen nur sehr langsam voran, nicht, weil die Menschenmenge so dicht gewesen wäre, sondern weil Annik fasziniert von dem Angebot war. Nach einer Töpferei mit rotem, fein gemustertem Geschirr, einem Salbenmacher, dessen Stand mit einem unbeschreiblichen Duftgemisch lockte, einem Gürtelmacher, dessen kostbar gepunzte Ware sie begeisterte, einem Perückenmacher, der goldblonde und rote Haarkreationen anbot und einer Perlenstickerin musste Martius energisch auf sich aufmerksam machen.
»Hör mal, es ist schon spät am Vormittag, und ich habe allmählich Hunger, Annik. Man hat mir gesagt, dass es hier wunderbare Fladen und scharf gewürzte Würstchen gibt. Komm mit, ich will etwas essen.«
Sie brauchten nicht lange zu suchen, Imbisse wurden an allen Ecken angeboten, und auf ihre körperlichen Bedürfnisse
aufmerksam gemacht, stellte Annik fest, dass der würzige Duft, der von den Buden zu ihr wehte, ihren Magen begehrlich zum Knurren brachte. Sie ließen sich auf einer der Bänke in der Sonne nieder und verzehrten eine üppige Mahlzeit.
»Es ist wirklich ein Spaß, Martius. Ich überlege, ob ich nicht in dieser Stadt eine Arbeit finden könnte. Geschirr wie das, was der Töpfer da vorhin angeboten hat, kann ich genauso herstellen.«
»Dazu müsstest du wohl erst einen Laden haben. Ach, denk jetzt nicht daran. Wir haben uns heute einen Festtag verdient. Komm, ich will etwas für dich kaufen, das dich an diesen Tag erinnert! Was möchtest du gerne?«
Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Annik lächelte. Martius konnte ein wundervoller Freund sein.
»Ich überlege mir etwas.«
Sie sah sich um und beobachtete das Straßengeschehen. Zwei gewichtige Beamte schritten in ihren purpurgesäumten Togen vorbei. Eine schwarzhaarige junge Frau in einem faltenreichen, weißen Gewand, die eine golddurchwebte grüne Palla elegant um Schultern und Arme geschlungen hatte, wurde von einem halbwüchsigen, dunkelhaarigen Mädchen in einer bestickten Tunika begleitet und blieb interessiert an einer Goldschmiedewerkstatt stehen. Drei auffallend geschminkte Frauen in eng geschnürten Gewändern und roten Sandalen warfen den Toga-Trägern auffordernde Blicke zu. Eine Matrone mit ausladender Haube führte zwei kleine Jungen an der Hand, eine Gruppe hoch gewachsener Germanen debattierte mit einem Metbrauer.
»Darf es etwas völlig Verrücktes sein, Martius?«
»Was?«
Aus seiner versonnenen Betrachtung der schwarzhaarigen Frau aufgeschreckt, sah Martius Annik an.
»Schon vergessen? Du wolltest mir etwas schenken!«
»Oh, natürlich nicht. Was willst du denn Verrücktes?«
»So ein römisches Kleid. Aber ich fürchte...«
»Zu teuer?« Er grinste. »Lass das mal meine Sorge sein!«
»Was? Hat Caesar dich schon so üppig entlohnt?«
»Caesar nicht, aber seinen Mannen sitzen die Sesterzen locker, wenn es um ein Spielchen geht. Und sie haben bisher noch keinen Kelten zum Gegner gehabt!«
»Ach so!«
Wissend nickte Annik. Martius’ Glück im Spiel war von jeher bemerkenswert gewesen.
»Hübsche Kleider sind an einer schönen Frau stets eine gute Investition. Los, wir suchen einen Gewandschneider.«
In der Nähe des Kapitols fanden sie einen solchen, und nach geraumer Zeit war Annik Besitzerin einer langen Tunika aus feinem Leinen und einer weichen, blauen Stola, dem Obergewand, aus Wolltuch. Während sie probierte und wählte und sich in die Trageweise dieser für sie fremden Kleidungsstücke einweisen ließ, war Martius
Weitere Kostenlose Bücher