Der Sieger von Sotschi: Ein olympischer Roman (German Edition)
teilen Ihr Zimmer mit Herrn Bend, ist’s recht?“, fragte die Chefin des Hauses. „Wir mussten umdisponieren, damit wir dem IOC-Mitglied Herrn Doktor Graber ein Eckzimmer geben können. Er will sich ja morgen den Slalom ansehen.“
„Seine Anwesenheit ist eine Ehre für das Team“, fühlte sich Fabian verpflichtet zu kommentieren.
„Man erwartet Sie im Seminarraum, Herr Luchsiger. Sie müssen zur Bar und dort steht die Schiebetür offen“, erklärte sie und reichte ihm den Zimmerschlüssel. Da nur noch ein paar Minuten bis halb zwölf blieben, fädelte er schnell seinen Nietengurt aus der Jeans, zog die Hosen aus seinen Stiefeln, um sie über deren Schnallen fallen zu lassen, denn er konnte sich vage an eine Klausel im Reglement erinnern, die besagt, der Verband könne einem Athleten die Nominierung für Titelwettkämpfe verweigern, wenn davon ausgegangen werden müsse, dass der oder die Betreffende die Schweiz nicht würdig vertreten könne. Ob da Nietengürtel, Punkstiefel und Schwule darunter fallen, wusste er nicht, wollte aber nichts riskieren. Die Hosenenden seiner Jeans waren dummerweise zu eng, um sie außen zu tragen. Sollte er zum Lastwagen hinausrennen, um in seinem Gepäck nach den Halbschuhen von Samstagabend zu suchen? Er ärgerte sich, weil er in Kitzbühel nicht daran gedacht hatte. Plötzlich bemerkte er Saubauer, der ihn beobachtete.
„Sind solche Stiefel unangebracht für die Selektionssitzung?“
„Klar! Aber zu spät eintreffen ist schlimmer! Ich komm gleich nach.“
Also eilte Fabian direkt zum Seminarraum. Die meisten waren schon da, vorne installierte der Experte Romani gerade sein Laptop, eine Hotelmitarbeiterin verteilte noch die letzten Fruchtsäfte und an der Schiebetür begrüßte ihn ein großer Mann mit Krawatte und Ratsherrenbauch: Ruedi Mayerhofer, der Leistungssport-Chef von Swiss-Ski. „Gratulation für Kitzbühel! Das macht nicht jeder schon im ersten Weltcup-Jahr!“
Fabian bedankte sich bei Mayerhofer und suchte sich einen Platz. Die Tische hatte man zu einem Hufeisen zusammengeschoben; die breite Seite zeigte gegen die Schiebetür; Mayerhofer hatte dort in der Mitte bereits sein Jackett an einen Stuhl gehängt und auf einen anderen seinen Aktenkoffer abgestellt. Deshalb war diese Seite frei geblieben. Vorne schloss Romani gerade sein Laptop an den Beamer ein. Auf der Fensterseite hatten sich die Athleten verteilt. Fabian fand zwischen Jonny Ulrichen und Justin Bend einen Platz.
„Den Hahnenkammsieger werden sie bestimmt nicht zu Hause lassen“, versuchte Justin ihn zu beruhigen – und gleichzeitig wohl sich selbst auch ein wenig. Vorne wurde nun das Swiss-Ski-Logo projiziert, zusammen mit demjenigen von Swiss Olympic und groß dessen Motto
for the spirit of sport
.
Saubauer betrat nach Klaus als Letzter den Seminarraum, warf Fabian dessen Nietengurt hinüber, den dieser anscheinend draußen vergessen hatte, und schloss die Schiebetür zur Bar.
Mayerhofer und Saubauer gingen nach vorne zu Romani, um ihm über die Schultern auf den Laptopbildschirm zu schauen.
„Was machen wir, wenn sich Graber querstellt und meint, ein Punk komme niemals mit in den Kaukasus?“, brummte Mayerhofer zu Romani. Er dachte wohl, man würde ihn nicht hören. Fabian versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber er fühlte ein Stechen im Bauch.
„Dieser Ermessensspielraum ist nur eine Notbremse, falls eine Dame auf den Strich geht oder wir einen Warmen nominieren müssten“, meinte Saubauer.
„Warum denkst du, dass ein homosexueller Rennläufer nicht dabei sein dürfte?“, schritt nun die Teampsychologin Heidi Weber ein und blickte den Kärntner finster an.
„Weil bei einem Warmen gleich der ganze Schnee unter den Skiern wegschmelzen würde – he!“, versuchte Saubauer wohl eine Art Witz, der Fabian wie ein Messerstich in die Brust empfand.
„Findet eigentlich keiner witzig“, stellte die Psychologin trocken fest.
Der Trainer und Heidi Weber blickten einander einen Moment lang an, aber eine Entschuldigung kam nicht.
„Saubi, geh rasch schauen, ob Doktor Graber den Weg zu uns findet“, verlangte Mayerhofer angespannt. Der Trainer musste daraufhin wieder hinausgehen. Im Seminarraum blieb es still wie in einer Kirche, während der Trainer den Repräsentanten von Swiss Olympic suchte, der gleichzeitig ein Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, IOC, war. So hohen Besuch gäbe es nicht oft, klärte Jonny Ulrichen Justin und Fabian auf, die zum ersten Mal
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