Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
wollte er schreien, doch seine Stimme versagte ihm. Zitternd vor Furcht, kauerte er in einer Ecke und starrte mit trübem Blick vor sich hin.
Die Zeit verging elend langsam. Als der Wächter zum ersten Mal gekommen war, hatte William im unruhigen Lichtschein der Fackel den verrückten Leonard sehen können. Sein schmutziger, ausgezehrter Körper war mit bläulich braunen Flecken übersät, das lange graue Haar verfilzt und seine Augen getrübt. Fahle Haut, dünn wie Pergament, umspannte seine knotigen Knie und hing an Armen und Beinen herunter, als wäre sie ihm um einiges zu groß. Williams Angst wuchs. So jämmerlich würde auch er enden, wenn nicht ein Wunder geschah.
Zwei Tage saß William einfach nur da und hoffte, dass bald Hilfe nahte. Bangte, dass er niemals freikommen würde, und hoffte wieder. Doch nichts geschah.
Als er die Ausweglosigkeit, in der er sich befand, zu ermessen begann, packte ihn kalte Angst. Panisch lief er in seinem Gefängnis hin und her, suchte jeden Winkel nach einer Fluchtmöglichkeit ab und kratzte mit den Fingernägeln an den Fugen der steinernen Wände, um zu sehen, ob er Mörtel entfernen und einen Stein lockern konnte. Er versuchte, mit den Händen den festen Lehmboden aufzugraben und bis zu dem kleinen vergitterten Fensterloch hinaufzuklettern, das weit über ihren Köpfen wie ein Zyklopenauge in der Mauer prangte. Vergeblich.
Der irre Leonard rasselte mit seinen Ketten und lachte heiser. Er schüttelte den Kopf, als wüsste er aus eigener Erfahrung, dass all diese Versuche vergeblich waren. Ob er schon immer in Ketten gelegen hatte? Oder waren sie ihm angelegt worden, weil er versucht hatte zu fliehen?
Mit verschrammten Knien und aufgeschürften Händen zog William sich irgendwann erschöpft und entmutigt in seine Ecke zurück.
Zwei Mal am Tag kam die Wache, ein älterer Mann mit krausem, rotblondem Bart und schulterlangen, verfilzten Haaren. Er brachte ihnen Brot oder Getreidegrütze, manchmal eine überreife Birne, einen wurmstichigen Apfel oder welken Kohl und einen Eimer Wasser. Begleitet wurde er von zwei bewaffneten Männern. William begriff gleich, dass es keinen Sinn hatte, etwas gegen sie zu unternehmen.
»B itte, gebt mir einen Eimer für die Notdurft! « , hatte er noch am ersten Tag mit demütig gesenktem Blick gefleht. Und tatsächlich hatte man ihn erhört. Die Wache, deren aschfahle Gesichtsfarbe auf ihren ständigen Aufenthalt in den nur spärlich erhellten Gängen und düsteren Kellern deutete, leerte den Eimer alle zwei Tage aus.
Das Brot war trocken, oft schimmelig, das wenige Obst faulig, und zu dem Getreidebrei mussten mehr Steine als Korn vermahlen worden sein, so sehr knirschte er unter den Zähnen. Das Schlimmste aber war, dass die Menge niemals auch nur annähernd ausreichend war, um zu sättigen. Die Tage waren lang, und manchmal wusste William nicht, wann einer endete und ein neuer begann, weil er immer wieder einnickte. Nur die Sonntage erkannte er. Denn dann gestand man ihnen zusätzlich je eine mit Soße getränkte Brotscheibe von der herrschaftlichen Tafel zu, über die William sich gierig hermachte. Selbst nachdem die jungen Soldaten, die den Wächter begleiteten, es einmal zum Spaß bespuckt hatten, verschlang er das aufgeweichte Brot, ohne zu zögern. Hunger und Durst, das hatte er inzwischen begriffen, waren die schlimmsten Feinde der Selbstachtung.
Drei Sonntage waren bereits vergangen, als nicht der Wächter, sondern ein Junge den beiden Gefangenen das Essen brachte. Der kurzen, kräftigen Nase und der rötlichen Haarfarbe nach zu schließen, war er der Sohn des Wächters. Umständlich machte er sich in Williams Ecke zu schaffen. Die beiden Soldaten beachteten ihn nicht, so sehr waren sie damit beschäftigt, sich über den armen Leonard lustig zu machen.
»V on Mistress Sibylle « , flüsterte der Junge und steckte William ein dickes Stück Braten, einen kleinen Käse und einen frischen, rotbackigen Apfel zu. »S ie macht sich große Sorgen um dich. «
»W as ist mit dem Falkner? Hat er auf der Burg nach mir gefragt? Wird er die Burgherrin um Gnade bitten? « Ein Funken Hoffnung glomm in Williams Herzen auf.
»I ch weiß nicht « , wisperte der Junge und zuckte mit den Schultern. »A ber ich glaub’s nicht. Niemand, der auch nur halbwegs richtig im Kopf ist, nimmt deinen Namen in den Mund. Das wagt keiner! «
Das Lachen der Soldaten in Leonards Ecke wurde lauter.
»A ber … « , wollte William einwenden.
»S ie hat gesagt, sie
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