Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
noch immer nicht zu ihm gegangen. William wusste, die Mönche würden ihn nur am Tag des Herrn zu David lassen. Also schwor er bei allen Heiligen, ihn gleich am nächsten Sonntag aufzusuchen.
Seine Zwiesprache mit Gott dauerte diesmal die ganze Nacht, und im Gegensatz zu seiner Beichte vor wenigen Wochen ging William gestärkt aus ihr hervor.
Obwohl er in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan hatte, machte er sich mit frischem Mut und – zum ersten Mal seit Langem – auch wieder mit Zuversicht auf die Suche nach Arbeit. Obgleich er jetzt noch magerer und außerdem schmutzig und zerlumpt war, bekam er schon beim dritten Handwerker, bei dem er nachfragte, eine Arbeit. William erschien es wie ein Wunder, doch vermutlich lag es daran, dass niemand anders diese Verrichtungen bei einem Gerber erledigen wollte. William jedoch war froh, sich mit ehrlicher Arbeit ein paar Münzen verdienen zu können. Mit einem Handkarren, auf dem ein großer Tonkrug stand, ging er los, um für Tanner, den Gerber, Urin zu sammeln. Die Bewohner der schmalen Gassen waren meist dankbar, ihren Nachttopf nicht auf die Straße leeren zu müssen, und füllten William willig den Krug.
Tanner war zufrieden, weil sein neuer Knecht noch vor dem Mittagsläuten zurück war, und gab ihm weitere Aufgaben. William hatte die Leder in der Gerberlohe zu wenden, sie auszuspülen und zum Trocken aufzuhängen. Anschließend musste er ein halbes Dutzend Häute abschaben, bis kein einziges Haar mehr an ihnen zu finden war. Sein Tagwerk war mühselig, Leder und Lohe stanken widerlich beißend nach Eichenrinde und Urin, aber die Arbeit lenkte ihn von seinem Kummer ab und würde mit der Zeit gewiss auch seinen Körper kräftigen, denn die nassen Häute waren schwer.
Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang war er auf den Beinen. Am Abend rieb er seinen Fuß wie früher mit einem wohlriechenden Kräuterfett ein, das er von seinen ersten Münzen erstanden hatte, und bandagierte ihn, sodass er schnell heilen würde. Dann sank er im Schuppen des Gerbers in einen traumlosen, tiefen Schlaf.
Die Frau des Meisters nötigte William am nächsten Morgen ein abgelegtes Hemd ihres Mannes auf und behielt dafür einen halben Tageslohn ein. William war es zufrieden. Er holte einen großen Eimer Wasser aus dem Brunnen und wusch sich in einer abgelegenen Ecke. Mit einer alten Bürste, die er im Gerberschuppen gefunden hatte, schrubbte er Hände und Arme, bis sie rot und wund waren, und doch gelang es ihm nur mühselig, den uringelben Schmutz zu entfernen, den die Gerberbrühe auf seiner Haut hinterlassen hatte. Dann schlüpfte er in sein neues Hemd. Der saubere, wenn auch etwas fadenscheinige und an mehreren Stellen geflickte Stoff fühlte sich gut an.
Nun trug er also Tanners altes Hemd und war sein Knecht. Knecht . Das war ein hartes Wort, das nach schwerer Arbeit und Armut klang, nicht nach Freiheit, Ruhm und Jagderfolg, die William als Falkner gekannt hatte. Doch er hatte nicht vor, sich mit seinem Los abzufinden. Zuerst einmal wollte er so viel wie möglich sparen, dann würde er weitersehen.
Die Gerberin kochte nicht besonders gut, dafür aber reichlich – sodass er schon bald wieder mehr Fleisch auf den Rippen hatte. Bier rührte William kaum noch an, und auch sonst gab es nichts, wofür er seinen spärlichen Lohn hätte ausgeben müssen. Im Winter würde er zwar neue Schuhe und wärmere Kleidung benötigen, doch bis dahin war es noch lange hin. Jetzt war es warm und sein Hemd ausreichend. Also sparte er jeden Penny.
Gleich am ersten Sonntag seines neuen Lebens war er nach St. Bartholomew gewandert, um David zu besuchen. Der Ärmste hatte niedergeschlagen ausgesehen, bis er William entdeckt und sich ihm, weinend vor Glück, in die Arme geworfen hatte. Worte hätte David ohnehin keine für Williams langes Fortbleiben gehabt, aber auch in seinen Augen fand sich kein Vorwurf, nur Freude über das Wiedersehen. Sogar die Erklärung, dass William ihn nicht gleich wieder mitnehmen konnte, nahm der Junge mit einem Lächeln hin. Es schien, als wüsste er jetzt, dass William ihn niemals im Stich lassen würde. Obwohl ihm die Trennung nicht weniger schwerfiel als David, ging William mit einem guten Gefühl. Er war auf dem richtigen Weg. Irgendwie würde er es schaffen, eines Tages ganz und gar für sich und Enids Bruder sorgen zu können!
Eine Woche später, am vierundzwanzigsten des achten Monats, dem Tag des heiligen Bartholomew, sollte der große Jahrmarkt in Smithfield beginnen.
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