Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
Zu diesem Anlass strömten unzählige Menschen herbei. Besonders die Züchter edler Reitpferde und Streitrösser reisten von weit her an. Doch auch Kühe und Kälbchen, Schafe und Lämmer, Schweine und Ferkel würden ausgestellt und viele von ihnen verkauft werden; außerdem Gänse, Enten und anderes Federvieh für die Hofhaltung. Außerdem wurden Ton-, Korb-, Leder- und Metallwaren aller Art feilgeboten. Durch sein mannigfaltiges Angebot war der Besuch des Marktes sowohl für Ritter und Edelleute als auch für Bauern und sogar für Mönche und andere Kirchenvertreter ein lohnendes Reiseziel. Neben Verkäufern aus dem ganzen Land würden auch viele Händler aus London ihre Waren auf dem zwei Wochen andauernden Markt feilbieten.
Tanner, der Gerber, hatte es in seinem Handwerk zu einem recht ordentlichen Ruf gebracht und beabsichtigte, in diesem Jahr einen eigenen Marktstand in Smithfield aufzubauen, um die Häute verschiedenster Tiere zum Verkauf anbieten zu können.
William hatte schon am Tag zuvor alle Hände voll zu tun. Er half Tanner, das Holzgerüst für den Stand mit einem Karren bis nach Smithfield zu bringen und aufzubauen. Bis weit nach Mitternacht brauchten sie dafür, denn William hatte den langen Weg von der Straße, in der der Gerber wohnte, drei Mal hin und zurück machen müssen, um die Teile für den Stand und die Häute herbeizuschaffen. Nachdem der Stand endlich aufgebaut und eingerichtet war, hatte Tanner ihm auch noch befohlen, während der Nacht Wache zu halten.
»U nd dass du mir ja nicht einschläfst. Wehe dir, es kommt auch nur ein Leder weg! « , warnte er ihn mit hocherhobenem Zeigefinger und ließ ihn auf dem Marktplatz von Smithfield zurück.
William war nicht der einzige Knecht, der Wache hielt. Zwar machte der Marktaufseher regelmäßig seine Runde, doch konnte er seine Augen nicht überall haben. Keiner der Händler konnte es sich leisten, seinen Stand unbeaufsichtigt zu lassen und womöglich bestohlen zu werden. Da aber bereits am frühen Morgen die ersten Kunden kommen würden, wollte sich niemand durch einen Aufbau am Vormittag die Gelegenheit entgehen lassen, ein gutes Geschäft zu machen.
William legte sich quer über die übel riechenden Häute und starrte in die Luft. Das Dach des Marktstandes war ebenfalls aus Leder, es sollte die kostbaren Häute vor dem Regen schützen, der in London zu jeder Tages- und Jahreszeit, also auch im August, fallen konnte. William schielte unter dem Dach hervor und betrachtete den Nachthimmel. Tiefschwarz war er. Vermutlich bewölkt, dachte William, weil kein einziger Stern zu sehen war.
Gut so, sagte er sich, denn Sterne erinnerten ihn an Enid. In lauen Sommernächten hatten sie sich oft im Freien geliebt und anschließend, dicht nebeneinanderliegend, den Himmel mit seinen Abertausenden leuchtenden Punkten betrachtet. William fühlte, wie seine Augen zu brennen begannen. Er war müde. Und traurig, weil er nun doch an Enid gedacht hatte. Behutsam öffnete er die kleine Lederbörse, die er am Gürtel trug. Der Beutel hatte einmal Enid gehört; sie hatte ihn von Nana bekommen. William strich über das speckige Leder und nahm zum ersten Mal seit dem Verlassen des Waldes das emaillierte Plättchen heraus. Er versuchte, sich zu erinnern, aber er konnte sich nicht entsinnen, je ein Schmuckstück bei Enid gesehen zu haben. Woher also kam es?
William kniff die Augen zusammen und hielt es dicht vor sein Gesicht, aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Sanft fuhr er mit dem Finger über das Emaille und legte das Plättchen zurück in den Beutel. Woher hatte sie es nur?
Williams Kopf sackte nach vorn. Er musste kurz eingenickt sein. Schlechten Gewissens sprang er auf und vertrat sich die Beine, um munter zu werden, bevor er sich wieder auf die Häute hockte, um Wache zu halten.
Bei Sonnenaufgang hielten sich alle Händler auf dem Markt auf, räumten noch Waren hin und her und gaben ihren Knechten letzte Anweisungen. Ein langer Tag lag vor ihnen.
Kaum stand die Sonne hoch genug am Himmel, kamen schon die ersten Neugierigen. Manch einer wollte nur schauen und staunen, ohne es sich leisten zu können, etwas zu kaufen. Andere hofften, die besten, seltensten, schönsten Stücke erstehen zu können, und waren deshalb so früh auf den Beinen. Nur wer alle Waren und Preise miteinander verglich, sorgsam abwägte und geschickt verhandelte, konnte sicher sein, ein gutes Geschäft zu machen.
»H ier, geh dir etwas zu essen kaufen « , sagte Tanner noch vor
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