Der Skandal (German Edition)
steht auf und geht zu ihr, er will sie festhalten, trösten, aber er schafft es nicht.
»Ach Hal, ich hab gedacht, ich hätte jemanden gefunden, mit dem ich mein Leben teilen kann«, bringt sie heraus.
»Aber … das hast du doch!« Er lächelt und will sie nun doch umarmen, aber sie streckt abwehrend die Hand aus.
»Hal, du bist mir so fremd geworden …«
»Katie!«, fängt er an. »Es ist SEINE STIMME , da bin ich ganz sicher, GOTTES STIMME ! Was ist daran falsch, wenn ich sie hören kann?«
Sie wischt sich mit der Papierserviette die Tränen weg.
Er versteht sie nicht. »Katie, es ist eine Gnade, eine ganz besondere Gnade, wenn man auserwählt ist, SEINE STIMME zu hören!«
»Hal, um Himmels willen, was redest du denn da! Vielleicht ist es ja auch die Stimme des Teufels? Oder vielleicht bildest du dir das alles ja auch nur ein? Hast du mal da dran gedacht?«
Ihre Worte kränken ihn. »Warum sagst du so was?«, erwidert er leise.
»Ich kann es nicht glauben!« Sie fängt wieder an zu schluchzen. »Da treffe ich nach vielen Jahren einen Mann, der mir was bedeutet, und dann …«
»Katie«, versucht er es wieder, geduldig, obwohl sich der Abstand zwischen ihnen schon so vergrößert hat, als würden sie in verschiedenen Zeitzonen leben.
»Was hast du nur erlebt?«, schluchzt sie. »Was ist nur passiert, dass du so geworden bist?«
Er setzt sich wieder. »Willst du es wirklich hören?«
Sie zögert, schließlich nickt sie.
Und er fängt an.
Madagaskar. Die Seltene-Erden-Mine liegt mitten im Regenwald. Man hat ziemlich viele Bäume dafür gefällt, aber das hat man ja auch vorher schon gemacht. Das wertvolle Rosenholz zum Beispiel – abgeholzt und nach China, Europa und zu uns in die USA transportiert. Gar nicht zu reden von den Tieren, vor allem den Lemuren, die nach und nach ihren Lebensraum verlieren. Und die Menschen in Madagaskar? Das Land gehört zu den ärmsten der Welt.
Aber davon steht nichts in den Werbebroschüren für die Investoren. Und auch nicht in den Stellenausschreibungen. Er braucht das Geld. Seine beiden Söhne wollen studieren, die Krankenversicherung frisst immense Summen auf, seine Frau braucht eine neue Brücke, sein Haus eine neue Heizung und ein neues Dach, das kostet allein schon fünfundzwanzigtausend Dollar. Deshalb hat er den Job in Madagaskar, so weit weg von zu Hause, angenommen.
Dort werden schwere Seltene Erden gefördert mit Namen wie: Yttrium, Gadolinium, Terbium, Dysprosium, Holmium, Erbium, Thulium, Ytterbium, Lutetium …
Ja, er verdient gut. Sehr gut. Noch fünf Jahre so einen Job, und er kann sich zur Ruhe setzen.
Nach drei Monaten bereitet er eine Sprengung vor. Nichts Besonderes, Routine.
Und dann sieht er ihn, Ike, ganz kurz vor der Explosion, zu spät, um noch zu reagieren. Ikes Körper verschwindet sofort in der riesigen Staubwolke.
Alle stehen da wie erstarrt.
Ike wollte es so, haben ihm alle versichert, und er selbst wollte es auch glauben. Sie waren doch befreundet. Warum hat Ike ihm nichts gesagt? Seit jenem Tag begleiten ihn diese Bilder wie ein Schatten. Und einen Monat nach Ikes Tod meldet sich zum ersten Mal DIE STIMME …
Während er erzählt hat, hat er auf seine Hände geblickt. Jetzt sieht er auf. Katies Blick ist weicher geworden.
»Ich bin in einer Klinik gewesen. Weil alle gedacht haben, ich bin verrückt geworden.« Er muss den Kopf schütteln, wenn er daran denkt, was sie dort alles mit ihm gemacht haben. Schließlich hat er einfach behauptet, dass er DIE STIMME nicht mehr hört. Kleine Notlügen sind erlaubt, das hat ihm schon seine Mutter gesagt.
Die Stille zwischen ihnen fühlt sich an wie ein tiefer Riss.
»Ach Hal, das tut mir leid«, sagt Katie. Ihre Hand liegt auf dem Tisch, er will sie nehmen und festhalten, doch etwas in ihrem Gesichtsausdruck hält ihn zurück.
»DIE STIMME« , fängt er an zu erklären, »ist nichts, wovor du dich fürchten musst.« Er lächelt jetzt. »Sie ist etwas Positives, sie gibt mir Orientierung, sie sagt mir, was richtig ist und was falsch.« Das müsste sie doch verstehen. Er redet weiter: » DIE STIMME hat mir das mit dem Höllenpfuhl gesagt. Und er ist wirklich da. Ich soll ihn zerstören. Ich.« Als er das ausspricht, erschauert er. »Verstehst du, Katie«, jetzt fühlt er sich wieder sicher, er nimmt ihre Hand, »mir ist die Gnade zuteil geworden, Gottes Werkzeug zu sein.«
Sie zieht ihre Hand weg und steht wieder auf.
»Am besten, du gehst jetzt.«
»Aber …«
»Ich muss jetzt
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