Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
geschlossen. In seinen Augen war Alexander ein Phänomen, eine außergewöhnliche Begabung. Ihm war jetzt schon klar, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde, bis er ihm nichts mehr würde beibringen können.
*
Eigentlich wollte Hannah Alexander mit drei Jahren in den Kindergarten geben, damit er mit anderen Kindern zusammenkam. Doch er, der schon sehr gut sprach und einen großen Wortschatz besaß, langweilte sich sehr bald. Nach einem halben Jahr, nachdem er alles kannte, sträubte er sich, weiter dort hinzugehen. “Hast du denn keine Freunde im Kindergarten?”, fragte Hannah.
“Doch”, antwortete der Kleine ohne weitere Erklärung.
“Aber?”, bohrte sie weiter.
“Nichts aber.”
“Sind die Kinder nicht nett?”, ließ Hannah nicht locker.
“Sie sind nett, Mama, aber langweilig. Ich will nicht mehr hingehen. Bitte Mama.”
Es blieb Hannah nichts anderes übrig, als den Jungen zu Hause zu behalten. Das war nicht einfach, denn der Knirps brauchte viel Förderung. Er musste immer etwas tun. Bald wollte er die Schriftzeichen auf jedem Produkt, auf jeder Karte, auf jedem Plakat und in seinen Kinderbüchern kennenlernen.
“Was heißt das, Mama?”, fragte er immer wieder und Hannah las vor, während sie beim Vorlesen auf das Wort deutete, das sie gerade las. Sie konnte es nicht fassen, wie schnell es ging, dass Alexander Worte erkannte und vorlas. Es war schwierig für sie mit diesem Kind nebenher zu arbeiten. Der Kleine wäre ein Ganztagsjob gewesen.
Gut, setzte er sich oft auch an sein Kinderpiano und versuchte, die Kinderlieder, die Hannah ihm vorsang, zu spielen. Bald genügten ihm die eineinhalb Oktaven auf seinem kleinen Piano nicht mehr. Es drängte ihn an das große Klavier, das in der Gaststätte stand. Nun das wäre natürlich während der Öffnungszeiten nicht gut gegangen. Die Gäste, die hier beim Essen ihre Mittagspause oder den Feierabend genießen wollten, waren nicht erpicht darauf, mit Kinderliedern, auch wenn sie mittlerweile richtig schön klangen, denn Alexander hatte bald ein Gespür für Harmonien, zugedröhnt zu werden. So war Klavierspiel immer nur montags, dem Wirtesonntag,oder zwischen den Öffnungszeiten, d.h. zwischen drei und sechs Uhr am Nachmittag möglich. Wenn Carsten da war wurde er mit Fragen bombardiert. Immer wieder musste er dem Kleinen etwas erklären und vorspielen. Mit knapp vier Jahren war der Knabe überreif für regelmäßigeren, gezielteren Klavierunterricht und Carsten begann, ihn systematisch zu unterrichten. Er hatte Freude dabei, denn im Gegensatz zu seinen anderen jungen Klavierschülern, machte der jüngste unter ihnen, mit der außergewöhnlichen Begabung, schnell Fortschritte. Über die mittlerweile mehr als zwei Jahre des intensiven Unterrichts stellte sich bei Alexander seine Vorliebe für Mozart heraus. Er spielte ihn so gefühlvoll, man hätte glauben mögen, dass Mozart persönlich als kleiner Junge hier saß und in die Tasten griff.
Einmal sagte Carsten zu Hannah: “Ich weiß nicht, woher der Junge seine Informationen erhält. Manchmal spielt er etwas auf eine Art, wie ich es ihm noch nicht beibrachte. Und wenn ich ihn frage, woher er das denn wisse, antwortet er nur ‘von Gottlieb’. Keine Ahnung, wer Gottlieb ist. Als ich ihn nach diesem Gottlieb fragte, wo er ihn denn treffe, meint er nur, dass der einfach da sei und mit ihm spreche. Hast du eine Ahnung, Hannah, wer Gottlieb ist?”
Hannah überlegte und schüttelte den Kopf: “Nein, ich weiß es nicht.” Plötzlich fiel ihr Nathan wieder ein.“Alexander ist wohl von einem großen Geist beseelt, hatte Nathan gesagt”, erklärte Hannah Carsten, “ob dieser große Geist wohl Gottlieb hieß?” Im Moment konnte wirklich niemand etwas mit diesem Gottlieb anfangen und Carsten meinte nur: “Warten wir es ab. Irgendwann, wenn Alexander älter ist, werden wir vielleicht mehr wissen.”
*
Hannah war gerade dabei, die Gaststätte auszuwischen. Immer wieder hielt sie inne, um zu den beiden hinüber zu schauen. Als Alexander gerade das Allegro vivace assai aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 spielte, war sie so gebannt, dass sie in Richtung Klavier ging und fasziniert lauschte. Sie war gerührt ob dieses Spiels mit diesen schnellen Fingerbewegungen. Carsten schaute gleichzeitig überwältigt und stolz zu Hannah hoch, während er den Daumen seiner rechten Hand als Zeichen größter Anerkennung hochhielt. Er spielte schon mit dem Gedanken seinen jungen begabten Schüler seinem Professor
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