Der Sohn des Apothekers (German Edition)
verbringen
muss.«
Trevisan zeigte in Richtung des Waldes. »Ach ja, die Lichtung«,
sagte er. »Ich sah dort eine Feuerstelle und Kronkorken liegen.«
»Ja, da feiern die Kerle öfter, Kevin und seine Kumpels, der
Sohn von unserem Baulöwen Stolz und noch ein paar andere aus dem Ort. Ich war
nahe dran, die Sache zu melden, aber der saubere Herr Polizist hat alles
heruntergespielt und mir sogar gedroht, dass, falls ich eine Anzeige machen
würde, auch meine Aufsichtpflichten genau unter die Lupe genommen werden
würden. Noch einen Schluck Wein?«
Trevisan trank sein Glas leer. »Nein, es reicht.«
Die Dunkelheit hatte sich längst über den kleinen Ort am
Steinhuder Meer gelegt.
*
Donnerstag
Hanna Kowalski hatte die verschiedenfarbigen Ablagefächer
vor sich aufgestellt und ordnete die eingegangenen Meldungen, so wie es
Trevisan vorgeschlagen hatte. Es gab schon sonderbare Menschen. Von
Außerirdischen über Prostituierte in Hamburg auf dem illegalen Straßenstrich
bis zum Teufel erstreckte sich das Spektrum der Eingaben so mancher
durchgeknallter Mitbürger. Dennoch waren diese Meldungen am einfachsten zu
bearbeiten, denn Hanna musste nicht mehr tun, als sie im weißen Fach zu platzieren.
Viel schlimmer waren die Hinweise, dass eines der Mädchen irgendwo am Ende der
Welt gesehen worden war. Auch hier erstreckte sich das Spektrum beinahe ins
Unfassbare. So hatte eine vermeintliche Zeugin mitgeteilt, dass sie die jetzt
schwerverletzte Tanja Sommerlath vor einem halben Jahr bei einem Guru in
Westindien getroffen habe. Sie habe damals zu den Jüngern des ehrwürdigen
Wailung Singh gehört und habe auf sie einen glücklichen Eindruck gemacht, so
dass eine Entführung eher unwahrscheinlich sei. Das Mädchen sei wahrscheinlich
einfach nur ausgestiegen. Weitere Zeugen wollten Tanja in den USA, auf Mallorca
und im Outback Australiens gesehen haben.
Hanna Kowalski rümpfte die Nase. Lisa streckte den Kopf herein.
»Anruf aus Dänemark«, sagte sie. »Die DNA-Überprüfung, die Trevisan bei den
verhafteten Rockern veranlasst hat, ist negativ verlaufen. Es gab keine Übereinstimmung.
Meinst du, ich sollte ihn anrufen?«
Hanna winkte ab. »Nein, ich glaube, er hat Dänemark sowieso
längst abgehakt. Viel wichtiger sind die Amtshilfeersuchen. Ich habe hier
weitere sieben Hinweise zur Tat.«
Lisa nahm aus dem roten Fach das obenauf liegende Blatt heraus.
Sie überflog die Angaben. »Indien, wie soll ich in Indien ermitteln?«
Hanna zuckte mit der Schulter. »Frag nicht mich, frag ihn, wenn
er kommt.«
Lisa schaute auf das komplett leere schwarze Fach. »Schön wäre
es, wenn jetzt jemand anrufen und sagen würde, ich kenne die Täter und das
verschwundene Mädchen wird in seinem Haus festgehalten. Aber das passiert wohl
nicht.«
»Ich glaube nicht«, antwortete Hanna. »Und selbst wenn, dann
müsste der Hinweis ins rote Fach, weil wir ihn erst verifizieren müssten, bevor
wir die Kavallerie rufen und die Bude stürmen. Wie weit bist du?«
»Noch drei Ersuchen«, antwortete Lisa. »Eines für das BKA, das
zweite an das LKA Baden-Württemberg und die dritte Sache ist eine Überprüfung
für die Kollegen aus Minden.«
»Also dann, weiter geht’s.« Hanna griff zum nächsten Papier.
Ein Telex. Lisa hatte sich längst umgewandt und war im Begriff, das Zimmer zu
verlassen.
»Das ist eine Fahndung, was hat die hier verloren?«, fragte
Hanna nachdenklich.
Lisa blieb stehen. »Soll ich den Irrläufer gleich mitnehmen?
Ich muss sowieso auf die Poststelle.«
Hanna antwortete nicht, ihre Augen flogen über den Text,
schließlich pfiff sie durch die Zähne.
»Soll ich?«, versuchte Lisa ihr Ansinnen zu wiederholen.
»Das ist kein Irrläufer, es wurde an uns geschickt, weil wir in
Tennweide ermitteln. Da wird ein Journalist gesucht, der vor zwei Tagen noch in
Tennweide war und dort für eine Reportage über unseren Fall recherchierte. Er
hat wohl das Auto des Verlages unterschlagen. Der Sachbearbeiter meint, es
könnte für uns von Bedeutung sein.«
Lisa zog die Mundwinkel hoch. »Das verstehe ich nicht.«
»Ich weiß zwar auch nicht, was ein unterschlagener Wagen mit
unserem Fall zu tun hat, aber ich glaube, Trevisan sollte davon erfahren«,
sagte Hanna und griff zum Telefon.
*
Trevisan fuhr nach dem Frühstück nach Mardorf. Er fand einen
Parkplatz unmittelbar vor der Apotheke. Thiele stand vor einem Regal und füllte
Kosmetikartikel auf, als Trevisan hereinkam. Ansonsten war niemand zugegen. Der
Apotheker wandte
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