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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Ruhm und zur Ehre meiner Götter gesungen.«
    »Gott helfe deinen Göttern«, knurrte er. »Du hast eine verdammt unangenehme Stimme, wenn du singst.« Damit schlug er die Tür wieder zu.
    Ich saß in der Dunkelheit und dachte nach. Ich hatte einen Irrtum erkannt, dem ich nicht erst vor kurzem, sondern schon vor einiger Zeit erlegen war. Beeinflußt von meiner Abneigung gegen den widerwärtigen Yeyac und seine engsten Freunde hatte ich alle Cuilóntin für mißgünstig, böswillig und unfähig gehalten, solange sie nicht von einem richtigen Mann herausgefordert wurden. Dann, so hatte ich geglaubt, reagierten sie unterwürfig und demütig wie Frauen. Nochéztli hatte mich eines Besseren belehrt. Offensichtlich waren Cuilóntin in ihrem Wesen so unterschiedlich wie alle anderen Männer auch, denn der Cuilóntli Nochéztli hatte männlich und tapfer gehandelt und Fähigkeiten gezeigt, die eines Helden würdig waren. Wenn ich ihn jemals wiedersah, würde ich meiner Achtung und meiner Bewunderung für ihn Ausdruck verleihen. »Ich muß ihn wiedersehen«, murmelte ich. Nochéztli hatte mit einem schnellen, kühnen Schlag einen Teil meiner Truppen mit Waffen versorgt, die denen der Weißen in nichts nachstanden. Doch die Arkebusen waren nutzlos ohne ausreichende Vorräte an Pulver und Blei. Wenn meine Truppen nicht das Zeughaus von Compostela stürmen und plündern konnten – und das schien unwahrscheinlich –, mußte Blei gefunden und Schießpulver hergestellt werden. Ich kannte als einziger von uns die Zusammensetzung des Pulvers. Jetzt verwünschte ich mich, weil ich dieses Wissen nicht an Nochéztli oder einen anderen meiner Offiziere weitergegeben hatte.
    »Ich muß hier raus!« murmelte ich. Mit Esteban hatte ich immerhin einen Freund in der Stadt. Der Moro hatte versprochen, sich einen Plan für meine Flucht auszudenken. Abgesehen von den verständlicherweise feindseligen Spaniern hatte ich in der Stadt aber noch andere gefährliche Feinde – den rachsüchtigen Yeyac, den scheinheiligen Lügenden Mönch und die bösartige G’nda Ké. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis der Gouverneur mich wieder holen ließ und ich ihm oder ihnen allen gegenüberstand. In so kurzer Zeit konnte ich kaum auf meine Rettung durch Esteban hoffen.
    Immerhin, so sagte ich mir, würde ich wenigstens aus der Zelle herauskommen, wenn Coronado mich rufen ließ. Würde es mir vielleicht gelingen, auf dem Weg zum Verhör den Wachen zu entfliehen? In meinem Palast in Aztlan gab es so viele Räume, Alkoven und Nischen, daß es einem Flüchtigen in einer verzweifelten Lage wie der meinen nicht unmöglich gewesen wäre, seine Verfolger abzuschütteln und sich zu verstecken. Doch Coronados Palast war nicht annähernd so groß und so prächtig wie meiner. Im Geist überprüfte ich noch einmal den Weg, auf dem mich die Wachen schon zweimal von der Zelle zum Thronsaal, wenn man ihn so bezeichnen wollte, geführt hatten, wo ich vom Gouverneur verhört worden war. Ich befand mich in einer von vier Zellen an einem Ende des Gebäudes. Ich wußte nicht, ob die anderen belegt waren. Davor befand sich ein langer Korridor, dann kam eine Treppe … wieder ein Gang … Ich konnte mich an keine Stelle erinnern, wo eine Flucht möglich gewesen wäre, an kein Fenster, aus dem ich hätte springen können. Und sobald ich mich in Gegenwart des Gouverneurs befand, würde ich von Wachen umgeben sein. Wenn man mich nicht auf der Stelle und vor seinen Augen tötete, war es sehr wahrscheinlich, daß man mich nicht in diese Zelle zurückbringen würde, sondern in eine Folterkammer oder sogar auf den Scheiterhaufen. Nun ja , dachte ich traurig, man wird mich im Freien verbrennen müssen. Es ist denkbar, daß vielleicht auf dem Weg dorthin …
    Doch dieser Gedanke stimmte mich wenig hoffnungsvoll. Ich versuchte, nicht in tiefe Verzweiflung zu fallen und mich auf das Schlimmste gefaßt zu machen, als ich plötzlich ein leises »Oye« hörte.
    Esteban stand wieder vor meinem winzigen Fenster. Ich sprang auf und spähte wie schon einmal in die Dunkelheit, in der die weißen Zähne blitzten, als er grinste und leise, aber munter sagte: »Ich habe eine Idee, Juan Británico.«
    Während er mir seinen Plan erklärte, wurde mir klar, daß er so gründlich nachgedacht hatte wie ich. Allerdings, und das mußte ich einräumen, mit sehr viel größerem Optimismus. Was er vorschlug, schien so tollkühn, daß es an Wahnsinn grenzte. Aber er hatte eine Idee, und ich hatte

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