Der Sohn des Azteken
heißen?
Die schöne junge Frau belebte und erfrischte mich zwar sanft mit Wasser, doch sie bedachte mich mit nicht gerade freundlichen Blicken und redete in einem Ton mit mir, der leichte Verärgerung verriet. Eigenartigerweise sprach sie nicht meine Muttersprache Náhuatl, wie ich es im Paradies eines Aztéca-Gottes erwartet hätte. Sie sprach das Pore der Purémpe, allerdings einen Dialekt, den ich noch nie gehört hatte.
Mein schwerfälliger Verstand brauchte eine Weile, bis er begriff, was die Frau immer von neuem wiederholte: »Du bist zu früh gekommen. Du mußt zurückfahren.« Ich lachte oder vielmehr wollte ich lachen. Vermutlich klang meine Stimme so schrill wie der Schrei einer Möwe und dann rauh und krächzend, als ich mich an genug Pore erinnert hatte, um zu sagen: »Du siehst doch sicher … Ich bin nicht freiwillig hier. Aber wohin … hat mich mein Glück … geführt?«
»Das weißt du nicht?« fragte sie erstaunt, und es klang etwas weniger streng.
Ich schüttelte nur schwach den Kopf, doch das hätte ich nicht tun sollen, denn dadurch fiel ich erneut in Bewußtlosigkeit. Während ich in einem schmerzenden Wirbel im Dunkel des Nichts versank, hörte ich noch, wie sie sagte: »Iyá omekuácheni uarichéhuari.« Das heißt: ›Hier sind die Inseln der Frauen.‹
Als ich zu Beginn beschrieb, wie Aztlan in meinen Kindertagen gewesen war, erwähnte ich, daß unsere Fischer dem Westmeer alle möglichen eßbaren, nützlichen und wertvollen Dinge entnahmen, mit Ausnahme jener wunderschönen Perlen, die in den Sprachen der EINEN WELT ›die Herzen der Austern‹ heißen. Nach alter Tradition und gemäß einer Übereinkunft, die im gesamten Herrschaftsbereich der Azteca Gültigkeit hatte, werden diese Austernherzen, die Perlen des Westmeeres, ausschließlich von den Fischern aus Yakóreke gesammelt, einer Stadt am Meer, die zwölf Lange Läufe von Aztlan entfernt liegt.
Hin und wieder hatte ein Aztécatl-Fischer, der andernorts Schalentiere suchte, um sie als Nahrungsmittel zu verkaufen, das Glück, in einer seiner Austern diesen schönen kostbaren kleinen Stein zu finden. Niemand verlangte von ihm, den Fund ins Meer zurückzuwerfen, oder verbot ihm, das Herz der Auster zu behalten oder zu verkaufen, denn eine vollkommene Perle ist so kostbar wie eine massive Goldkugel gleicher Größe. Doch die Männer aus Yakoreke wußten, wo man die Austernherzen in großen Mengen fand, und sie hüteten ihr Wissen als Geheimnis. Fischervater gab es an Fischersohn weiter, und keiner verriet es jemals einem Außenstehenden.
Trotzdem waren im Laufe der Zeit einige Dinge über das Geheimnis des Perlensammelns nach außen gedrungen. Allgemein bekannt war, daß die Fischer von Yakoreke einmal im Jahr in ihren Acáltin hinaus auf das Meer fuhren. Jedes Kanu war schwer beladen mit einer Fracht, die durch schützende Matten und Decken den Blicken Neugieriger entzogen war. Eine naheliegende Vermutung wäre gewesen, daß die Männer eine Art Austernköder geladen hatten. Was immer es war, sie fuhren damit weit genug hinaus, bis sie den Blicken vom Land entschwunden waren. Das war an sich bereits eine so kühne Tat, daß in all den Jahren kein neidischer Fischer eines anderen Stammes es gewagt hatte, ihnen zu den geheimen Austerngründen zu folgen.
Noch etwas war bekannt: Die Fahrt der Männer von Yakoreke, wohin immer sie auch fuhren, dauerte nur neun Tage. Am neunten Tag entdeckten die wartenden Familien und die Händler, die sich inzwischen aus allen Gegenden der EINEN WELT eingefunden hatten, unfehlbar die Flotte der Acáltin am Horizont, die sich der Küste wieder näherte. Die Kanus waren nicht mehr mit ihrer verdeckten Fracht, ja nicht einmal mit Austern beladen. Jeder Fischer brachte nur einen Lederbeutel voll Austernherzen zurück. Die Händler, die sie am Ufer erwarteten, um die Perlen zu kaufen, waren nicht so unklug zu fragen, woher oder wie die Männer sie bekommen hatten. Auch die Frauen der Fischer hatten gelernt, ihre Neugier zu zähmen.
Soviel wußte man, und mehr verrieten die Fischer nie. Außenstehende konnten das übrige nur vermuten. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß sie allerlei Geschichten erfanden, die den Umständen entsprachen. Die glaubwürdigste Vermutung war, daß es im Westen von Yakóreke Land gab, vielleicht von Untiefen umgebene Inseln, denn es wäre unmöglich gewesen, daß ein Fischer Austern aus den Tiefen des Meeres geholt hätte. Doch warum fuhren die Männer nur einmal im Jahr
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