Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
Vom Netzwerk:
die Hitze, und scharenweise hockten Spatzen ganz oben, um sich zu
    wärmen. Die Sonne hatte sich fett und üppig ausgebreitet.
    Der Besuch der Freilichtspiele war entsprechend.
    An den zwei Kassen drängelten sich Menschenschlangen, Omnibusse waren aus der näheren Umgebung gekommen, und die Bankreihen waren schon eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung gerammelt voll.
    Eine Musikkapelle spielte, und an ein paar Buden konnte man sich heiße Würstchen kaufen oder Limonade in allen Regenbogenfarben.
    Der erste Bürgermeister hatte es sich nicht nehmen lassen, die schwarze Mercedes-Limousine von Mister Webster vor dem Eingang zu erwarten. Er begrüßte ihn und seine Begleitung im Namen der Stadt und geleitete die Herrschaften anschließend auf ihre Plätze in der ersten Reihe.
    Die Websters hatten Tesu in ihre Mitte genommen, und daneben saß der junge Butler Brosius mit seinem Kraushaar.
    Theaterdirektor Friedebold schwamm geradezu im Lampenfieber. Während man von den Zuschauerbänken her das Raunen und manchmal auch das vergnügte Gelächter des Publikums hörte, schlüpften die Schauspieler hinter der Bühne in ihre Kostüme und warfen noch einen letzten Blick auf ihren Text in den Rollenbüchern, um ihr Gedächtnis aufzufrischen. Die Knaben der Maximilianschule und des Prinz-Ludwig-Gymnasiums saßen entweder schon als perfekte Rothäute im Schatten herum oder warteten in einer Reihe hintereinander, bis sie zu einem der Maskenbildner kamen, die ihre Körper von oben bis unten dunkelbraun schminkten. Anschließend bekamen sie noch irgendwelche farbigen Phantasiezeichen in ihre Gesichter oder auf ihre nackte Brust gemalt.
    Draußen im Publikum wurde es allmählich unruhig, und ein Rathausangestellter kam hinter den Felsen gelaufen, um zu fragen, ob der erste Bürgermeister inzwischen schon mit seiner Begrüßungsrede anfangen könnte.
    „Noch zehn Minuten“, erwiderte der Theaterdirektor und fuhr sich dabei völlig sinnlos mit der linken Hand durch’s Haar. „Ich werde, um die Verspätung zu überbrücken, in Windeseile eine Art Vorspiel aus dem Boden zaubern.“ Fast im selben Atemzug rief er: „Hallo, Schwarzfeder, wo steckst du denn?“
    Schon eine halbe Minute später verbeugte sich der Intendant des Bad Rittershuder Stadttheaters vor dem erschienenen Publikum.
    „Bevor unsere Premierenvorstellung offiziell beginnt, wird Ihnen Häuptling Schwarzfeder noch eine Probe seiner Kunst geben.“
    Das Publikum applaudierte, und mitten in diesen Applaus hinein hüpfte der etwa sechzigjährige Indianer auf die Bühne, so wie er sonst wohl bei seinen Zirkusauftritten in die Manege sprang.
    Die Musik spielte weiter, und Häuptling Schwarzfeder entzündete als erstes eine Fackel, deren Feuer er dann kurzfristig verschluckte und anschließend wieder in den hellblauen Himmel spuckte, wo es sich in eine schwarze Rauchwolke verwandelte. Anschließend schoß der Indianer in kurzen Abständen fünf Pfeile hintereinander irgendwohin in den Wald. Dann warf er sein Lasso über einen Schüler der Maximilianschule, der zu diesem Zweck in seinem Siouxkostüm auf die Bühne gerufen worden war.
    „Und jetzt darf ich um einen Trommelwirbel bitten“, rief der Indianer, der sich Häuptling Schwarzfeder nannte, zu der Musikkapelle hinüber. Er hatte sich auf einen Felsen gestellt und hielt seinen Tomahawk in die Luft.
    Das Publikum, das bisher immer wieder fleißig applaudiert hatte, hielt unwillkürlich den Atem an.
    „One — two — three“, rief der Indianer. Dabei hatte er seine Waffe geschwungen und schleuderte sie jetzt durch die Luft. Sie traf das Ende des Marterpfahls, der bereits als Dekoration auf der Bühne stand, ziemlich unten und an der Seite.
    Trotzdem riß Häuptling Schwarzfeder die Hände in die
    Luft, als habe er an einer Schießbude grade mitten ins Schwarze getroffen, und die Zuschauer, die ja gekommen waren, um vergnügt zu sein, applaudierten so laut, als habe der Häuptling wirklich eine ganz enorme Leistung vollbracht.
    Das machte Herrn Schwarzfeder mutig. Er zog den Tomahawk wieder aus dem Holz und spazierte mit ihm mitten unter die Zuschauer.
    „Bitte, wer will einen Wurf riskieren?“ fragte er in gebrochenem Deutsch. „Sie selbst sollen sehen, wie schwer es ist, zu treffen mit diese Waffe ein Ziel.“
    „Tesu!“ riefen unsichtbare Stimmen hinter den Felsen hervor und von der Bühne herunter. Denn selbstverständlich hatten die Apachen und Sioux der Maximilianschule und des

Weitere Kostenlose Bücher