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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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kontrollierte dabei einen Zettel, den sie in der Hand hatte. „Was mich betrifft, so brauch’ ich noch Mehl, Seife und Waschpulver.“
    Sie kamen jetzt am Gemüsestand vorbei „Wenn die Sonne scheint , sagte der weißhaarige Herr mit der goldgefaßten Brille, „dann sehen selbst Porreestangen wie Blumen aus.“
    „Sachen sagen Sie manchmal“, stellte Frau Bandel kichernd fest, „die gibt’s eigentlich gar nicht.“
    Als sie sich beim Ausgang in die Schlange stellten, wurden sie von der Kassiererin bemerkt.
    „Guten Tag, Herr Professor“, grüßte sie. „Guten Tag, Frau Bandel.“
    Die beiden lächelten und sagten auch guten Tag.
    „Wollen wir heute wieder?“ fragte die Kassiererin. „Da steht Frau Kubatz, und ihr Wagen ist so voll, daß kaum mehr was drauf geht.“
    „Ja bitte, Herr Professor“, baten gleichzeitig mehrere Stimmen. Man war aufmerksam geworden, und alle schienen zu wissen, was jetzt passieren würde. Selbst die Käufer, welche sich links und rechts bei den zwei anderen Kassen angestellt hatten, drehten sich um und kamen näher.
    „Wenn Sie wieder so einen Dusel haben wie beim letzten Mal, spendier’ ich eine Flasche Kognak“, meinte der Geschäftsführer, der jetzt in seinem weißen Mantel aus der Wurstwarenabteilung herüberkam.
    „Nicht Dusel“, korrigierte Professor Keller nachsichtig, „Köpfchen und Konzentration.“
    Die Frau des Chefredakteurs der Bad Rittershuder Nachrichten war inzwischen bis zur Kasse vorgerückt und legt ihre Einkäufe auf das schmale Fließband.
    „Also los!“ rief die Kassiererin und nahm jetzt die Waren, so schnell es eben ging, nannte dabei die Preise und drückte die Zahlen auf den Tasten ihrer Registrierkasse.
    „Zweizwanzig — viermal vierdreiundsechzig — einssiebzehn — fünfmal sechsundneunzig — zwölfsiebenundfünfzig —“
    Schweigen hatte sich ausgebreitet.
    Nur die Stimme der Kassiererin war zu hören und das Geräusch, wenn sie ihre Tasten drückte.
    „Vierfünfundachtzig — dreimal neunundsiebzig — neun Mark zehn - siebenmal zweiachtundvierzig —“
    Der Professor hatte hinter seiner Brille die Augen geschlossen, und alle beobachteten ihn gespannt.
    Schließlich war der Einkaufskorb von Frau Kubatz fast leer.
    „Dreizweiundachtzig — elfsiebzig — und fünf Flaschen Selter zu je einszweiunddreißig.“ Die Kassiererin blickte auf, während ihre Kasse fünfmal den letzten Preis in sich hineinschnurrte.
    „Einhundertsiebenundachtzigsechsunddreißig „, sagte Professor Keller, noch bevor die Kasse zur Ruhe gekommen war.
    „Abwarten und Tee trinken“, meinte der Geschäftsführer. Er wandte sich jetzt an die Kassiererin. „Los, drücken Sie die Taste für die Endsumme.“
    In der Kasse summte, hackte und ratterte es kurz. Dann machte es Klick.
    „Tatsächlich“, hauchte die Kassiererin fast ehrfürchtig, „Einhundertsiebenundachtzigsechsunddreißig.“
    „Phänomenal“, rief der Geschäftsführer, „ein zweiter Einstein!“ Er klatschte in die Hände, und alle Kunden, die herumstanden, machten es ihm nach.
    Professor Keller lächelte unter seinen buschigen, weißen Augenbrauen und verbeugte sich ein klein wenig.
    So ein Applaus war nicht ganz ungewohnt für ihn.
    Gelegentlich trat er unter der Künstlerbezeichnung „Zahlengenie Professor Olgo“ in den verschiedensten Städten bei öffentlichen Veranstaltungen auf. Er hatte sich dabei einen gewissen Namen gemacht, die Agenturen waren hinter ihm her, und wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte er von den Honoraren, die sie ihm anboten, ganz angenehm leben können. Aber seine wissenschaftliche Forschungsarbeit war ihm wichtiger. Das andere machte er lediglich ein- oder zweimal im Jahr. Als Kind hatte er davon geträumt, eines Tages ein berühmter Zirkusclown zu werden. Vielleicht kam es daher, daß es ihm heute noch Spaß machte, von Zeit zu Zeit auf einer Bühne zu stehen und den Beifall des Publikums zu hören.
    Im vergangenen Herbst hatte er sich zum erstenmal auch den Bürgern von Bad Rittershude als Rechenkünstler vorgestellt, und der Kursaal war an diesem Abend vor lauter Überfüllung fast aus den Fugen gesprungen. Man hatte ihm irgendwelche Daten weit zurückliegender, gegenwärtiger oder künftiger Jahre zurufen dürfen, und er hatte wie aus der Pistole geschossen sofort die entsprechenden Wochentage genannt. „Das war ein Mittwoch“, oder „das wird ein Freitag sein“ und so weiter. Seine Antworten waren jedesmal von einem Notar anhand eines

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