Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
Vom Netzwerk:
möglichst gut versteckt. Auf ein bestimmtes Stichwort sollten sie, laut brüllend und ihre Tomahawks schwingend, an den erstaunten oder vielleicht auch erschrockenen Zuschauern vorbei auf die Bühne stürzen, die ahnungslosen Sioux überfallen und in eine handfeste Keilerei verwickeln.
    „Es ist immer wichtig, daß ein Publikum gleich in den ersten Minuten schockiert wird“, hatte Direktor Friedebold erklärt. „Dieser Überfall aus dem Zuschauerraum heraus ist ungeheuer effektvoll. Ihr werdet es bei der Premiere erleben.“
    Über zwei Lautsprecher kam leise Indianermusik.
    Schließlich war die Stimme einer Schauspielerin zu hören: „Die ersten Abendnebel zogen vom Mississippi herauf. Tiefe Stille herrschte ringsum. Nur manchmal unterbrochen vom heiseren Schrei eines Raubvogels. Winnetou und sein weißer Freund Old Shatterhand waren auf der Jagd. Aber sie wußten, daß die Stämme der feindlichen Sioux düstere Pläne brüteten und zum Kampf entschlossen waren. Man mußte ihnen zuvorkommen. Der Häuptling der Apachen war von den Spähern gewarnt, und seine Krieger hatten sich auf den Kriegspfad begeben. Der Feind war bereits eingekreist, und die tapferen Apachen schlichen immer näher an seine Zelte heran und an seine Lagerfeuer —“
    „Lagerfeuer“ war für die in ihrem Versteck wartenden Schüler des Prinz-Ludwig-Gymnasiums das Stichwort.
    Sie fingen also an, zu brüllen, und stürzten durch die schmalen Gänge zwischen den leeren Zuschauerbänken zur Bühne. Dabei hatten sie ihre rechten Arme erhoben und taten so, als würden sie todbringende Waffen schwingen.
    Die Maxen saßen als Siouxindianer weiter seelenruhig um ihre Feuer herum oder in den Zelten.
    Als die Apachen sie schon beinahe erreicht hatten, brüllte einer der Jungen von der Bühne herunter plötzlich: „Halt, das ist ja alles Quatsch mit Soße!“
    Der Junge hieß Ulli Buchholz. Er hatte hellblondes Haar und trug eine kurze Lederjacke, die gelegentlich in die Reinigung gehört hätte.
    Die Apachen verstummten und stoppten ihren Angriff mitten im Lauf, als hätte jemand die Handbremse gezogen.
    „Darf ich fragen, was los ist?“ fragte Theaterdirektor Friedebold ärgerlich.
    „Wenn diese Plattfußindianer vom Prinz-Ludwig-Gymnasium derartig brüllen“, antwortete Ulli Buchholz, „dann können wir doch nicht einfach sitzen bleiben und warten, bis sie über uns herfallen. Wenn’s mit richtigen Dingen zugeht, müssen wir eigentlich schom beim ersten Geschrei aufspringen. Aber dann finden der Überfall und die Keilerei leider mitten im Publikum statt, was vielleicht nicht ganz im Sinne des Erfinders wäre.“
    Die Schüler murmelten Zustimmung, und Emil Lang-hans wagte sogar zu bemerken: „Wo er recht hat, hat er recht.“
    „Allerdings“, stimmte jetzt auch Theaterdirektor Friedebold zu. „Ich bin dir für deine Anregung dankbar. Laß mich mal überlegen —“
    Er rieb sich mit der linken Hand das Kinn, und die Schüler beobachteten ihn schweigend bei seiner Gedankenarbeit.
    „Ich hab’s“, verkündete Herr Friedebold bereits nach einer halben Minute. „Die Sioux reagieren zu spät, weil sie Feuerwasser getrunken haben. Wir zeigen ganz einfach schon am Anfang, wie ein Faß Whisky unter ihnen die Runde macht.“
    „Und gleich darauf sollen sie wieder stocknüchtern sein und uns in die ewigen Jagdgründe befördern?“ fragte Karlchen Kubatz.
    „Stimmt, ich habe die weiteren Folgen nicht bedacht“, gab der Theaterdirektor zu.
    „Aber wie wäre es denn“, meldete sich jetzt wieder Emil Langhans zu Wort, der es sich zugute hielt, gerade von Indianern besonders viel zu verstehen, „wie wäre es, wenn wir nicht gleich von Anfang an brüllen, sondern ganz stumm, auf leisen Sohlen an den Zuschauern vorbei bis kurz vor die Bühne schleichen und erst im allerletzten Augenblick zu brüllen anfangen?“
    „Ganz ausgezeichnet“, lobte der Theaterdirektor. „So machen wir’s. Und die Spannung bleibt trotzdem erhalten.“ Er schickte die Schüler des Prinz-Ludwig-Gymnasiums wieder in ihre Startposition zurück und folgte ihnen.
    „Das Stichwort ,Lagerfeuer’ bleibt nach wie vor euer Zeichen zum Aufbruch.“ Er ging dabei in die Hocke und fing jetzt an, auf allen vieren zu kriechen. „So schleicht ein Indianer auf dem Kriegspfad. Bitte, alle nachmachen.“
    Die Schüler bemühten sich, ein Grinsen zu unterdrücken und schlichen folgsam hinter dem Theaterdirektor her zur Bühne. Immerhin bekamen sie für jede Probe zwei Mark, und

Weitere Kostenlose Bücher