Der Sohn des Verräters - 21
entwickelte sich in unerwarteter Weise, und schließlich gab es keinen Grund zur Eile.
Wie kam ein Terraner dazu, einen Wagen des Fahrenden Volks zu kutschieren? Domenic wollte jetzt mehr wissen.
Vielleicht hätte er noch ein bisschen länger bei den Wagen bleiben und lauschen sollen oder die Alton-Gabe benützen, um den Fremden gewaltsam Informationen zu entreißen … der Gedanke stieß ihn ab. Mutter hatte Recht – er war einfach zu brav.
Domenic kam zu Bewusstsein, wie viel Angst er hatte und wie allein er sich fühlte. Er wäre gern weggerannt, und gleichzeitig wollte er bleiben. Schließlich musste er alles im Auge behalten. Es war seine Pflicht. Er konnte doch nicht einfach loslaufen … aber warum eigentlich nicht? Immerhin versuchte er, seinen Vater zu beschützen. Und all die andern. Doch dann wurde ihm klar, dass er das Problem gar nicht an die Erwachsenen weiterreichen, sondern dabei sein wollte – ein Abenteuer erleben. Wenn er jetzt zurückging, würde man ihn bestrafen und vielleicht nicht einmal ernst nehmen.
Wäre er wegen des rothaarigen Mädchens nicht so neugierig gewesen, dann wäre das alles nicht passiert, und das Komplott wäre nicht entdeckt worden. Falls es überhaupt ein Komplott gab, und falls dieser Kommandant – sie meinten höchstwahrscheinlich Belfontaine – Granfells Plan weiterverfolgte. Und wenn Domenic es allen in der Burg erzählte und Glauben fand, säße er in der Falle. Seine Eltern würden ihn mit so vielen Wächtern umgeben, dass er keine Luft mehr bekäme. Er würde wieder zu einem kleinen Jungen werden.
Diesen Gedanken konnte Domenic nicht ertragen. Das hier war sein Abenteuer, und er war entschlossen, es bis zum Ende durchzustehen. Er hatte es gründlich satt, ein Gefangener auf Burg Comyn zu sein, und eine Rückkehr garantierte ihm, dass es so blieb. Andererseits löste es Angst und Zorn bei seinen Eltern aus, wenn er mitten in der Nacht weglief. Dieser Tatsache sah er nicht gern ins Auge, aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Das hieß, er musste die Sache jemandem erzählen, der ihn verstand und ihm glaubte, der ihn aber nicht auf der Stelle zurückschleifen würde.
Domenic fiel nur ein Mensch ein, der wissen würde, was zu tun sei. Lew Alton. Sein Großvater hatte für alles Verständnis.
Er würde sicherstellen, dass sich Marguerida und Mikhail keine Sorgen machten, und ihm sagen, wie er weiter vorge hen sollte. Das entschärfte das Abenteuer zwar ein wenig, aber er musste schließlich verantwortungsvoll handeln. Die Entscheidung, Lew zu vertrauen, löste ein Gefühl der Erleichterung in ihm aus.
Domenic überquerte die Wiese in Richtung der Essenstände. Dann kauerte er sich neben eine offene Feuerstelle, zog sich die Kapuze über den Kopf und konzentrierte sich. Er hoffte, einfach nur wie ein müder Junge auszusehen, der sich aufwärmte, denn er wollte vorläufig unsichtbar bleiben. Er schloss die Augen.
Großvater!
Domenic? Was gibt es?
Ich … ich liege nicht krank im Bett. Ich habe mich nur krank gestellt, damit ich mich wegschleichen konnte und …
Besuchst wohl die Amüsierbetriebe von Thendara, was?
Eine gewisse Belustigung schwang in dem Gedanken mit.
Nein, Großvater. Die Idee, er könne sich davonschleichen, um ein Freudenhaus zu besuchen, empörte Domenic. Er wusste allerdings aus Erzählungen der Wachleute, dass andere Jungen in seinem Alter solche Dinge taten. Ich bin draußen bei der Wiese am Nordtor – ich wollte mir eine Vorstellung des Fahrenden Volks anschauen. Aber ich habe etwas erfahren … vor mir auf der Straße gingen zwei Männer in terranischer Kleidung, und sie haben sich hier mit jemandem getroffen, einem Mann namens Vancof. Ich habe ihn heute im Laufe des Tages schon einmal gesehen, er hat einen Wagen des Fahrenden Volks kutschiert. Ich glaube, er ist ein Spion oder … ein Mörder.
Ein Spion? Wenn Rhodri mir so ein Märchen auftischte, ich würde ihm nicht glauben, aber du, Domenic! Sprich weiter.
Die Terraner haben einem Jongleur zugesehen, dann sind sie hinter einen Wagen geschlichen. Also bin ich ihnen nachgegangen und habe gelauscht. Ich meine, es kam mir seltsam vor, dass zwei Männer in dieser Uniform, die wie eine Lederkluft aussieht, hierher kommen sollten, um sich das Fahrende Volk anzusehen. Einer heißt Granfell, den Namen von dem anderen weiß ich nicht. Vancof hat ihnen gesagt, dass Regis tot ist – was Granfell anscheinend noch nicht wusste – und dann meinte Granfell, dass er es für eine gute Idee hielte,
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