Der Sohn des Verräters - 21
MACH DEN MUND ZU, MIK.
DU SIEHST AUS WIE EINE FORELLE AM HAKEN.“
Die Lichtkugel setzte sich in Bewegung und sauste zuerst zu Lew Alton. Das wirbelnde Licht ließ sich auf Lews Stirn nieder, und ein bemerkenswerter Ausdruck trat in das alte, vernarbte Gesicht, während Tränen über die Furchen und Falten strömten. Dann wanderte es weiter zu Dom Gabriel, der verwundert, aber nicht beunruhigt aussah. Es herrschte nahezu Schweigen, während die Lichtwolke ihre Runde fortsetzte und erst die beiden Aldarans, dann Dyan Ardais und seine Mutter beehrte.
Dom Francisco Ridenow versank nahezu in seinem hohen Sessel und zitterte unkontrolliert. Als sich die Wolke über sein Gesicht senkte, verzerrte ein Ausdruck des Schreckens seine Züge, und er stieß einen Laut des äußersten Entsetzens aus. Er hob eine Hand und versuchte, das Licht wegzuwischen, aber sofort zog er sie zurück, als hätte er sich verbrannt. Das Licht blieb lange, wie es schien, an ihm haften, und als es endlich weiterschwebte, sank Dom Francisco vornüber auf die Tischplatte. Javanne saß steif und wartete ohne ein Anzeichen von Angst. Ihre Miene drückte den festen Willen aus, dem, was nun geschehen sollte, nicht die geringste Beachtung zu schenken, und als das Licht auf sie herabsank, blieb sie zunächst völlig reglos. Dann ballte sie die auf dem Tisch liegenden Hände zu Fäusten, und ihr kalter Gesichtsausdruck verschwand. Stattdessen sah sie nun zornig aus, als würde sie mit ihrem toten Bruder streiten und dabei den Kürzeren ziehen.
„Wie konntest du nur, Regis? Wie konntest du?“, murmelte sie schließlich, als die leuchtende Energie weiterzog.
Donal ließ seinen Herrn los und trat einen Schritt zurück, während Mikhail darauf wartete, dass er an die Reihe kam. Er war zu müde, um sich zu fürchten. Er konnte die Erfahrung später nie vollständig beschreiben, aber er fühlte, wie ihn eine große, schützende Liebe umfing, während er gleichzeitig unbarmherzig geprüft wurde. Es war, als wären die letzten Jahre nie gewesen, nichts von der Angst und dem Misstrauen, das Regis genau wie Mikhail bedrückt hatte, keine Vorwürfe und Nörgeleien. Aller Schmerz der Vergangenheit war ausgelöscht, als hätte er nie existiert.
Mikhail nahm die Reaktionen der übrigen Mitglieder des Comyn kaum mehr wahr, als die Wolke ihre Reise beendete. Er sah nur, dass Danilo Syrtis-Ardais lächelte und Dani Hastur und Miralys beide weinten. Zuletzt raffte er sich so weit auf, den Kopf zu drehen, als Marguerida an der Reihe war. Ihre Augen glänzten vor nicht vergossenen Tränen, aber ihr Gesicht war so heiter, wie er es nur je gesehen hatte.
Die Wolke kehrte zur Mitte des Tisches zurück, und Mikhail beobachtete, wie sich das Licht wiederum zu verändern begann. Es faltete sich zusammen, bis nur noch ein Funke über dem polierten Holz schwebte. Dann sauste es zurück in den Ring, und die Kälte, die Mikhail zuvor gespürt hatte, breitete sich für einen kurzen Moment wieder aus, bevor sie verschwand. Mikhail ging der Gedanke durch den Kopf, wie traurig es war, dass Lady Linnea dieses letzte Lebewohl nicht miterleben durfte.
Er merkte, dass Dani ihn ansah, und begriff, dass der junge Mann nun, da die Dämpfer zerstört waren, sein Bedauern für Lady Linnea aufgefangen haben musste. Tatsächlich konnte er jetzt die Oberflächengedanken der Anwesenden hören; die geistige Stille, die er vom Kristallsaal gewöhnt war, existierte nicht mehr. Dann, als die anderen es offenbar auch erkannt hatten, fühlte er erleichtert, wie ringsum die persönlichen Schutzschilde hochgeklappt wurden.
In stillschweigendem Einverständnis fingen alle gleichzeitig zu reden an; sie würden ihr Laran vorläufig nicht einsetzen. Mikhail unternahm keinen Versuch, sie am Parlieren zu hindern. Er war zu sehr damit beschäftigt, alles zu sortieren, was in seinem Gedächtnis haften geblieben war. Da war nicht nur Regis’ Liebe und sein Glaube an ihn gewesen, sondern eine gewaltige Eruption an Gedanken, Gefühlen und Kenntnissen, und ihm schwirrte noch immer der Kopf davon. Er griff zu dem Apfelwein, den ihm Donal zuvor eingeschenkt hatte, und leerte den Kelch mit drei kühlen Schlucken.
Er wusste nun, weshalb Regis so jung gestorben war: Als er während der Sharra-Rebellion Aldones’ Schwert geschwungen hatte, hatte er einen Preis bezahlt, der sein Leben verkürzte; dieselbe Kraft, die das Haar eines jungen Mannes weiß werden ließ, hatte ihm Jahrzehnte seiner Zeit auf dieser Welt
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