Der Sommer der Gaukler
Mund. »Ist doch bloß ein Lustspiel«, wiegelte er ab.
»Machen doch jetzt alle so, das mit den Viechern«, stand ihm Aloys bei. »Den Leuten gefällts halt neuerdings.«
»Von der Böhm’schen Gesellschaft hört eins, dass sie eine halbe Schafherde durchs Stück treiben«, wusste Millner. Lachend fügte er hinzu: »Da heißts halt nach jeder Szene den Dreck wegputzen, gelt?«
»Sie solltens halt endlich einmal hinnehmen, dass Sie nicht mehr am Hoftheater sind«, riet Caselli. »Sonst schlägts Ihnen am End auf die Gallen.« Er füllte sein Weinglas nach. »Drüber hinaus find ich, dass wir uns mit unseren anderen Stücken überhaupt nicht zu verstecken brauchen.« Er sah Zustimmung heischend um sich. Die anderen nickten.
»Jaa!«, höhnte Wallerschenk. »Shakespeare, was?! Ja, es sind wieder diese englischen Moden, die unser Herr Direkteur meint kopieren zu müssen! – Aber das will das Publikum nicht! Ich wette mit Ihnen, meine Herren, in ein paar Jahren wird kein Directeur, der noch halbwegs bei Sinnen ist, diesen Unsinn auch nur mit der Zange anfassen!«
Caselli setzte das Weinglas ab, lehnte sich zurück und seufzte. »Wer wirds je wissen, was das Publikum will?«
»Diesen Shakespeare jedenfalls nicht!«, beharrte Wallerschenk gereizt. »Hämlett! Mackbett! – Gewiss, da gibt es den einen oder anderen eingängigen Effekt. Aber sonst! – Chaos! Tiefstes Parterre! Es wirft jedenfalls ein bezeichnendes Licht auf den Geschmack unseres Herrn Direkteurs ! «
»Habens vielleicht eine Abfuhr gekriegt, Herr Wallerschenk? Zieht Ihre Obstgarten-Ophelia nimmer mit?«, lästerte Demoisell Bichler träge.
»Ha!« Wallerschenk warf den Kopf zurück. »Demoisell Bichler,wenn ich das Bedürfnis habe, mit Ihnen zu diskutieren, lasse ich es Sie wissen. Dieses Bedürfnis verspüre ich jedoch äußerst selten – genauer gesagt: nie! –, weil ich mir keinerlei geistigen Gewinn davon verspreche! Im Übrigen dürfte Ihnen vielleicht aufgefallen sein, dass mein Thema ein anderes war. Ich sprach vom verhängnisvollen Opportunismus unseres Herrn Directeurs !«
»Ich weiß, Herr Wallerschenk«, sagte Demoisell Bichler schneidend. »Und da solltens schon auch wissen, wo die Brems ist – gelt?!«
Er schwieg betreten. Ihr Tonfall hatte ihm schlagartig klar gemacht, was längst kein Geheimnis mehr war: Demoisell Bichler stand dem Chef um einiges näher als er. Sie würde es ihm brühwarm berichten.
Millner und Caselli warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
Demoisell Bichler hielt ihr Gesicht wieder in die warme Sonne
und verscheuchte eine Fliege, die sich auf ihre Stirn gesetzt
hatte. Wallerschenk drehte ihr brummend den Rücken zu. In diesem Moment überquerte Kolber den Wirtschaftshof. »He! Herr Wirt!«, rief Wallerschenk befehlend.
Kolber hielt inne und sah ihn fragend an. Wallerschenk winkte herrisch. Der Wirt näherte sich mit ungläubiger Miene. »Eine Reklamation, Herr Wirt!«
»Eine – was?«
»Eine Beschwerde! Ist Ihm bewusst, dass Er die Gesundheit seiner Gäste aufs Spiel setzt?«
»Gehens zu, Herr Wallerschenk«, ließ sich Caselli hinter Wallerschenks Rücken vernehmen. »Erst saufens wie ein Ochs –« Wallerschenk hörte nicht hin.
»Aufs Spiel, jawohl!«, bekräftigte er. »Und ich bin nicht länger gewillt, dies hinzunehmen!«
Im Gehirn des Wirts arbeitete es. Dann runzelte er die Stirn. »Von was redet der Herr?«, fragte er beherrscht. Wallerschenk stemmte seine Fäuste in die Hüften.
»Von jenem Getränk, das Er uns als Wein verkaufen will, HerrWirt! So viel ich nämlich weiß, sind gewisse Verfeinerungen mit Vortagsresten oder gar Wasser nicht erlaubt! Wenn sich das nicht ändert, behalte ich mir vor, die hiesige Behörde davon in Kenntnis zu setzen!«
Der Wirt glotzte ihn an. Sein Gesicht hatte sich verfärbt. »Was für ein nagelneuer Witz«, sagte er, gefährlich ruhig. »Da wage ich zu widersprechen!«, tönte Wallerschenk überheblich. »Mich jedenfalls führt Er nicht hinters Licht, damit Ers
weiß!«
Die Männer am Kartentisch hielten den Atem an. Es bestand kein Zweifel, dass in der nächsten Sekunde etwas geschehen würde, an dessen Ende eine Neubesetzung im ›Hamlet‹ stände – ein auf Krücken gehender und lispelnder Laertes war schlecht denkbar.
Doch der Wirt bewegte sich nicht. Seine Finger waren zu Fäusten geballt, seine Nasenflügel bebten, und seine Schläfenadern traten pochend hervor. Er durchbohrte Wallerschenk mit einem vernichtenden Blick. Wallerschenks Lider
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