Der Sommer der Gaukler
gegenüber des Schlosses, rollten die Senke hinab und kamen vor dem Tor zu stehen. Schikanedersprang ab und reichte Gidi ein Trinkgeld, das dieser ohne Zögern einsteckte. Dann wendete er die Kutsche und fuhr ins Dorf zurück.
Das Playen-Schloss mochte im Mittelalter eine eher kleine, doch einigermaßen wehrhafte Anlage gewesen sein, vermutlich zu dem Zweck errichtet, den alten Pass zu bewachen. Einer der früheren Besitzer musste es später zum ländlichen Schloss umgestaltet haben. Verspielte Seitentürmchen machten aus dem ehemals gedrungenen Stock einen heiter anmutenden Landsitz, und aus der talwärts gerichteten Gebäudefront buchtete sich ein schmaler Erker über dem Portal. Ein imposantes Walmdach aus wettergrauen Holzschindeln krönte das Gebäude. Der Verputz mochte irgendwann einmal kalkgelb gewesen sein, jetzt ließ er an mehreren Stellen bereits rohes Mauerwerk sehen, von wucherndem Efeu gnädig überdeckt.
Das Schloss schien wie ausgestorben, nur von irgendwoher wehten die Töne eines Klaviers. Auf sein Klopfen öffnete eine junge Bedienstete. Sie führte ihn in einen holzvertäfelten Raum.
Baron Victor von Playen war ein zierlicher Mann mit wachen Augen. Unauffällig humpelnd und leicht gebückt, aber mit lebhaften Schritten und ausgebreiteten Armen eilte er auf Schikaneder zu. Der Prinzipal verneigte sich und nannte seinen Namen. Als er seinen Beruf hinzufügen wollte, winkte der Baron ab.
»Monsieur le directeur belieben einen Scherz zu machen!«, sagte er mit gespielter Entrüstung. »Wer Sie nicht kennen würde! Nürnberg! – Götz von Berlichingen! – Sein Hamlet! Lassen Sie sich von der Waldeinsamkeit hier heroben nicht täuschen. Man ist den Dingen der Welt oft näher, wenn man sich ein wenig von ihnen zurückzieht. Glauben Sie mir! Dennoch freue ich mich außerordentlich über Ihren Besuch.«
Er wies auf eine Sitzgruppe am Fenster und ging voraus. »Am meisten hat mich jedoch Ihre ›Minna von Barnhelm‹ beeindruckt, Monsieur le directeur! – Bitte nehmen Sie doch Platz!« Der Baron klatschte in die Hände. Ein Dienstmädchen in
frischgestärkter Schürze trat ein. Es knickste leicht.»Zu Diensten?«
Der Baron wandte sich an Schikaneder.
»Sie akkompagnieren mich doch bei einem Gläschen Porto, Monsieur?«
Schikaneder nickte. Das Mädchen streifte ihn mit einem freimütig neugierigen Blick, knickste wieder und drehte sich zur Tür.
»Ach, und«, rief ihr von Playen nach, »und melden Sie unserem Gast, dass Monsieur Schikaneder eingetroffen ist!«
Der Baron bemerkte Schikaneders fragenden Blick. »Der Sohn eines guten Freundes, und wie sein Vater ein äußerst bemerkenswerter, noch dazu liebenswürdiger und talentvoller Mensch«, erklärte er, während sie sich setzten. »Er kommt gerade aus München. Er wollte hier noch einmal Station machen, bevor er sich morgen wieder unter die Fittiche der strengen Salzburger Herrschaft begeben muss.«
»Ich verstehe«, sagte Schikaneder höflich.
Viktor von Playen legte die Fingerspitzen aneinander.
»Wo waren wir eben? – Ahja! ›Minna von Barnhelm‹! Ein außergewöhnliches Stück! Ein freier Geist, dieser Lessing, nicht wahr? Ein klingenscharfer Vernünftler und großer Humanist!«
»Wer würde hier zu widersprechen wagen«, pflichtete ihm Schikaneder bei.
»Aus jeder Zeile leuchten die Ideen Rousseaus, nicht wahr? Und abgesehen davon, dass Sie, Monsieur le directeur, als Tellheim großartig waren, beglückwünsche ich Sie zur Ihrem Mut.«
»Das ehrt mich.« Schikaneder lächelte geschmeichelt. »Aber – Mut, Euer Hochwohlgeboren? Welcher Direkteur nicht erkennt, welches –«
»Bitte, Monsieur!«, unterbrach der Baron. »Wenn es Ihnen irgend möglich ist – bitte nicht ›Euer Hochwohlgeboren‹! Es würde mich ausgesprochen beglücken, wenn Sie auf diese alten Zöpfe verzichteten!«
»Pardon!«
»Jemand wie ich ist schließlich nicht gnadenvoller als jederandere Mensch!« Von Playen lächelte verbindlich. »Aber jetzt ist es an mir, Sie um Pardon zu bitten. Ich hatte Sie unterbrochen. Bitte fahren Sie fort.«
Schikaneder räusperte sich.
»Nun, ich, eh, wollte lediglich sagen: Ein Direkteur, welcher nicht augenblicklich zugreift, wenn ihm ein derartiges Stück unter die Augen kommt, sollte seinen Beruf wechseln.«
»Wie wahr, Monsieur! Wie wahr! Sie sprechen mir aus der Seele, Monsieur.«
Das Mädchen stellte zwei Gläser auf das Tischchen vor ihnen. »À votre santé, Monsieur le Baron, Monsieur Schikaneder.« Von
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