Der Sommer des glücklichen Narren
wir ihn am nächsten Tag verließen. Nur die Aussicht, daß wir mit einem Wagen voller Flaschen zurückkehren würden, tröstete ihn einigermaßen über die bevorstehende Einsamkeit hinweg.
Und dann, ganz zuletzt, hatte er sogar einen Auftrag für uns. Wir sollten doch mal bei seinem jungen Freund vom Zeitungshandel vorbeifahren und hören, was es so Neues gebe.
»Und uns vielleicht auch nach Ihrer verlassenen Braut erkundigen?« fragte Steffi freundlich. »Ich kann mir vorstellen, daß Sie das Gewissen drückt.«
»Ich hab' keins. Da macht euch keine Sorgen. Und sagt's dem Burschen noch amal, daß er ja die Schnauzen hält.«
Der junge Mann mit dem Bart hatte ein winziges Geschäft an einer alten Schwabinger Ecke, zu dem man drei Stufen hinuntersteigen mußte. Dort gab es Zigarren und Zigaretten zu kaufen und alle Zeitungen. In einer Ecke waren bunte, wirre Bilder ausgestellt, das Abstrakteste vom Abstrakten, denn in Wahrheit war der Bärtige ein Künstler, wie wir erfuhren, ein Malersmann, und der Tabak- und Zeitungshandel, den ihm seine Mutter hinterlassen hatte, diente nur dazu, ihn zu nähren und zu kleiden.
Wir mußten die Bilder ansehen und einen Vortrag dazu anhören, der sich zu einem weitschweifigen Kolleg über moderne Kunst ausweitete, bekamen eine Handvoll Zeitungen für den Toni und hatten dann endlich Gelegenheit, uns nach der übriggebliebenen Witwe zu erkundigen.
»Der geht's gut«, meinte der Bärtige. »Ich seh' sie jeden Tag mit ihrem Hund Spazierengehen, und sie macht dabei ein ganz zufriedenes Gesicht. Die hat den Toni schon vergessen.«
»Was reden denn die Leute?« wollte Steffi wissen.
»Die Leute? Um die kümmer' ich mich nicht. Ich red' doch nicht mit den Spießern. Ja, wenn Mutter noch hier wär', die hätt' Ihnen das genau erzählen können.«
Im Verlauf unseres Gespräches war ein schlankes, blasses Mädchen in den Laden gekommen, ein typisch Schwabinger Mädchen, strichdünn in engen schwarzen Hosen, einem schlampigen Pullover und langen schwarzen glatten Haaren. Wir erfuhren, sie sei die Freundin des Bärtigen und male auch. Sie sprach kein Wort, betrachtete uns nur gleichgültig mit großen schwarzen Augen und hielt uns offenbar, die wir wie normale Bürger gekleidet waren, für völlig exotische Lebewesen.
Als wir gingen, kam der Bärtige mit vor die Tür, wies in die kurze Straße hinein, die an seiner Ecke begann, und sagte: »Seng S', da drüben, in dem gelben Haus mit den Balkons, da hat der Toni gewohnt. Im zweiten Stock.«
Wir bedankten und verabschiedeten uns. Dann konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, die kleine Straße, die in einem anmutigen Bogen zur nächsten Ecke führte, zweimal auf und ab zu gehen. So eine richtig gemütliche Schwabinger Straße. Jedes Haus anders, eins groß, eins klein, eins gepflegt, eins verwahrlost, ein paar Gärtchen dazwischen, ein paar schöne alte Bäume. Das Haus, das man uns gezeigt hatte, war das größte und schönste der Straße, in gutem Zustand, der Garten in Ordnung, die Fenster geputzt, und auf den Balkons standen bunte Blumenkästen.
»Ist doch nett hier«, meinte Steffi. »Da hat er doch wunderbar gewohnt. Er ist schon ein richtiger Haderlump, dein Freund.«
Dagegen ließ sich nichts sagen. »Ob sie das ist?« sagte Steffi, denn eben kam eine blonde Dame in einem hübschen dunkelblauen Sommerkleid die Straße entlang, eine Einkaufstasche in der Hand, vor ihr her sprang ein schwarzer Pudel. Sie sah recht ansehnlich aus, ein wenig mollig, aber gepflegt, mit einem noch jugendlichen, freundlich blickenden Gesicht. Kein übler Anblick.
»Also dann ist der Toni ein Depp«, sagte Steffi entschieden. »So eine nette Frau. Er könnt' sich alle zehn Finger abschlecken, wenn die ihn heiratet.«
Ich blickte der Dame nach, die an uns vorbeiging und wirklich in dem gelben Haus mit den Blumenkästen verschwand.
»Vielleicht ist es auch die«, sagte ich dann. Von der anderen Seite kam ebenfalls ein weibliches Wesen. Auch nicht mehr die jüngste, nicht mollig, sondern dick, ein bißchen schlampig anzusehen und begleitet von einem fetten Dackel. Wir blickten gespannt und wirklich, auch diese verschwand in besagtem Haus. Wie gesagt, die Straße war nicht lang, sie hatte im ganzen nur sechs Häuser.
»Das wär' natürlich etwas anderes«, meinte Steffi. »Weißt du, was ich am liebsten täte?«
»Ich kann mir's denken.«
»Ja, ich möchte da ins Haus gehen, die Wohnung erforschen, in der der Toni wohnt, und …« Sie
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