Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman
Schutzbündler, der mit dem letzten Transport in die Sowjetunion gekommen war, dass ihr Vater im Anhaltelager Wöllersdorf saß, aber gesund sei. Drei Jahre später, nach seiner Rückkehr aus Moskau, war die Mutter nicht mehr die Person, die Max gekannt hatte. Ihr Lachen war verschwunden und sie hatte nicht mehr die Geschichten erzählt, die ihn als Kind so fasziniert hatten. Sie hatte Dinge auf eine unverwechselbare Weise beschrieben, wenn sie zum Beispiel erzählte, wie der alte Koglerbauer an seiner Pfeife zog, wobei sie die Rauchschwaden, die durch die Küche zogen, mit Wesen füllte, die für niemand anderen sichtbar waren. Sie redete nach den Erlebnissen um den 12. Februar 34 nur noch wenig. Sie ist damals mit den anderen Müttern, Tanten und Großmüttern am Bahnsteig gestanden, mit nassen Augen und doch einem Lächeln und wollte den beiden Buben Mut machen »Geht und nehmt euch was ihr zum Leben braucht, blickt nicht zurück, ich komme durch«, ihr rechter Arm bewegte sich in ausholenden Bewegungen über den Köpfen der anderen langsam hin und her, und Max war stolz auf seine schöne Mutter gewesen. Er hatte damals gehofft, sie würde in die Sowjetunion nachkommen, sie hatte es ihm versprochen.
Max hörte Margarethe in der Küche hantieren, sie hatte den Kaffee aufgesetzt und begann, das Frühstück für Lena vorzubereiten, die sie noch immer verwöhnte, obwohl er der Meinung war, das Mädchen solle mehr im Haushalt helfen, was bei seiner Tochter auf taube Ohren stieß. Margarethe trat mit zwei Tassen Kaffee auf den Balkon und fragte ihn, ob er wieder Nachtwache gehabt habe, dabei berührte sie ihn sanft an der Schulter. Sie hatte ihren weißen Morgenmantel an, das erinnerte Max an ihren ersten gemeinsamen Ausflug nach Altaussee, als sie am frühen Morgen in den See gestürmt waren und Margarethe sich, nachher vor Kälte zitternd, in diesen Bademantel verkrochen hatte. Max konnte ihr in diesem Moment nichts von dem erzählen, was in ihm vorging, und dankte ihr für die Zeitung, die sie für ihn vom Kiosk mitgebracht hatte. Margarethe nahm sich einen Teil der Zeitung und begann in ihrem Kaffee zu rühren. Max wusste, dass er eine ständige Last für sie war und ihr selbst bei den Kleinigkeiten im Haushalt nicht mehr wie früher helfen konnte. Er blickte in die vollen Baumkronen gegenüber und sagte, er habe sich überlegt, ob es nicht für alle besser wäre, wenn Lena und sie für eine Weile wegziehen würden, Jagbauer habe ihm tags zuvor von einer leeren Wohnung in der Nähe erzählt. Margarethe blickte überrascht von der Zeitung auf, in die sie sich zu vertiefen begonnen hatte. Das Interesse für Politik war ein starkes Bindeglied zwischen ihm und ihr gewesen, nachdem er, vom Krieg zurück, mit ihr zusammen begonnen hatte, eine Existenz aufzubauen. Zunächst waren sie für ein paar Wochen nach seiner Rückkehr bei Heinrich und Else in ein Zimmer gezogen, doch dann fanden sie durch Vermittlung in einem abbruchreifen Haus in Floridsdorf die erste eigene kleine Wohnung. Nach Kapfenberg wollte er nicht zurück, nachdem sein Vater im Krieg an einem Lungenleiden gestorben war und seine Mutter ein paar Jahre später an Herzversagen, wie es hieß. Die Großmutter war ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr aus dem Spital zurückgekehrt, in das sie wegen einer Gallenoperation eingeliefert worden war, und so war von seiner Familie niemand mehr übrig. Nach dem Krieg hatte Max bei den Kommunisten mitgemacht, vielleicht als späte Rache für den in seinen Augen unnötigen Tod des Großvaters, den er der damaligen Sozialistischen Parteiführung anlastete. Er hatte im Gefangenenlager in England einen ehemaligen Schutzbündler aus Wien getroffen, der ihm schilderte, wie desperat die Vorbereitungen des Generalstreiks damals in Wien gelaufen waren. Das nachhaltige Werben der Sozialisten um die Kriegsheimkehrer und die ehemaligen Nazis hatten ihm diese Partei zunehmend unsympathisch werden lassen. Max hatte es als Hohn empfunden, einige der Obersturmbannführer und SS -Angehörigen in Verwaltungsämtern und anderen gehobenen Funktionen wieder anzutreffen. Auch andere ehemalige Sozialisten machten bei den Kommunisten mit, aber von seinem Übertritt an war es für ihn schwieriger geworden, in seinem erlernten Beruf als Betriebselektriker eine Anstellung zu finden. Margarethe hatte ihn immer unterstützt und Putzdienste und Servierarbeiten angenommen, um Geld zu verdienen. Als er dann die Arbeit in der Lokomotivfabrik
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