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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
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Tür. Durch den Spalt kreuzten sich ihre Blicke für eine Sekunde oder zwei. Der ihre setzt ihn matt.
    Inzwischen war Lina nur noch ein Häuflein Mädchen, das in einem Bettkasten hockte. Er wollte ihren Namen sagen. Er wollte sie bitten: „Komm da raus.“ Aber da schloss sie den Deckel über sich und er, er wich zurück.
    Er konnte sie nicht mehr sehen. Doch er hört die erstickten Geräusche aus dem Inneren der Truhe.
    Und es zerriss ihn.
    „Weißt du“, sagte Marion bedrückt, als sie ihm Gute Nacht wünschte. „Lina wird wohl bald in die Psychiatrie eingewiesen. Sie hat sich bei Doktor Schilling einfach ausgeknipst, auf gar nichts mehr reagiert.“
    Bestürzung schnürte Nick die Luft ab. In einer Schreckensvision sah er Lina, die in farbloser Anstaltskleidung steckte, rastlos über lange, freudlose Korridore wandeln. Sie trug ihren Körper wie ein Kleid, das nicht mehr passte. Das Haar hing ihr unordentlich ins Gesicht, die Pupillen waren groß, die Augen beinahe schwarz, ihr Mund brabbelte unentwegt: „Dirbralongszwol … Dirbralongszwol …“
    Nick biss sich auf die Lippen. War Linas Verstand echt nicht mehr da? Nein, das war unmöglich!
    Als könnte Marion seine Gedanken ahnen, erklärte sie: „Lina ist ein hochgradig verstörtes Mädchen. Ich fürchte, wir können ihr nicht helfen. Leider. Wir haben es versucht. Aber wir haben verloren. Was ich mich frage, ist: Kann sie nicht sprechen? Will sie nicht? Oder darf sie nicht sprechen?“
    „Sie hat doch geredet“, betonte Nick. „Mit mir. Das weißt du genau. Sie kann es also, und sie will es auch! Bleibt nur noch, dass sie nicht darf. Aber wer hat ihr den Mund verboten?“
    „Du hast recht.“ Marion nagte an ihrer Unterlippe. „Ja. Genau. Und …“
    „Und?“
    „Warum?“
    Nachdenklich schauten sie einander an. Bis Marion den Blick senkte und sein Zimmer verließ.
    Linas letzte Gedanken vor dem Einschlafen
    Mein monatlicher Termin beim Psychologen wurde auf heute vorgezogen. Doktor Schilling hat mit mir geredet. Oder besser, er versuchte es. Wirklich.
    Ich habe jedoch kein Wort verstanden: schwarze Watte in meinen Ohren, schwarze Watte vor meinen Augen, in meinem Mund. Mein Kopf, mein Körper, alles gedämmt mit schwerer, schwarzer, kalter Watte. Stahlwatte.
    Fühlt es sich so an, tot zu sein, Jan? Ich meine nicht nur innerlich. Wie fühlt es sich an, wenn alles tot ist; auch der Körper?
    Erinnerst du dich, in Religion haben wir im vergangenen Jahr über die Zehn Gebote gesprochen. Ein wichtiges Gebot absichtlich zu brechen, ist eine Todsünde.
    Ich habe drei gebrochen.
    Das zweite: Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen.
    Das vierte Gebot: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.
    Das achte. Du weißt schon.
    Cho bihe ginlugi.

10
    Am nächsten Vormittag saß Nick wieder an seinem Schreibtisch. Auf ein Blatt Papier hatte er ein Strichmännchen mit langen Haaren gezeichnet, aus dessen Mund eine Sprechblase quoll, die unverständliches Kauderwelsch enthielt. Gedankenwolken umschwirrten das Männchen, deren Inhalt Nick sich nach und nach widmete.
    Einerseits Angst vor der Badewanne – andererseits Waschzwang. Isolation. Weinkrämpfe. Ekel vor bestimmten (süßen?) Lebensmitteln (Kuchen, Obst, Marmelade), Anfall von Zerstörungswut im Garten. Die seltsame Grube, die Lina ausgehoben hatte.
    Er konnte keine Zusammenhänge erkennen! Was quälte Lina dermaßen? Wodurch wurde sie zerfressen? In welchem Zusammenhang stand das mit Jans Verschwinden?
    Er ging zu ihrem Zimmer.
    Lina saß in der Totempfahlstellung auf dem Sofa. Er war dankbar, dass sie wenigstens nicht wieder im Bettkasten kauerte. „Komm schon, Lina. Hilf mir“, bat er sie leise. „Sag ein einziges Wort. Das hast du doch schon mal getan.“
    Er fühlte, wie sich an seiner Seelenstelle ein Knäuel bildete, ein dickes, sich windendes Schlangenknäuel. Und er dachte, wenn sie keine Antwort gibt, ist das nur ein weiterer Fehlschlag. Einer von vielen. Nicht mehr.
    Aber auch nicht weniger.
    Ihr Brustkorb bewegte sich beim Ein- und Ausatmen. Nach einer Weile sah sie Nick an. Klaren Blickes. Zwar nur für einen Wimpernschlag, und ihre Lippen blieben versiegelt. Dennoch hielt Nick den Atem an. Für ihn stand fest: Lina war noch da, er hatte sie nicht verloren!
    Doch sie war kaum zu fassen und schwer zu halten. Wie ein kleiner, silberner Fisch im Bach, der einem durch die Finger schlüpft. Er musste einen Weg finden, sie ans Ufer zu holen.
    Am Nachmittag des gleichen Tages. In

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