Der Spezialist: Thriller
Wut.
»Wovon redest du eigentlich?«
»Wieso würdest du nicht genauso tief sinken? Was ist das Besondere an dir? Körperkraft? Bist du stärker? Härter?«
Geiger hob das Paddel und schmetterte die Kante mit einem scharfen Knacken gegen die Außenseite von Jackie Cats’ rechtem Fußknöchel.
»Hast du eine höhere Schmerzschwelle?«
Er schlug gegen den linken Fußknöchel, und Jackie stöhnte auf.
»Bist du mutiger?«
Er wechselte den Griff um das Paddel und hämmerte das abgerundete Ende vor Jackie Cats’ rechtes Schlüsselbein. Ein tiefes Keuchen brach durch seine blutigen Lippen.
»Oder treuer? Zuverlässiger?«
Er bohrte das Paddel ins linke Schlüsselbein; er zielte auf Stellen, wo er zwar intensiven Schmerz erzeugte, aber keinen bleibenden Schaden anrichtete.
»Oder liebevoller?«
Geiger hob das Paddel wie einen Speer. Jackie Cats’ bereits gebrochener Nasenrücken wurde zum Schwarzen in der Zielscheibe. Als Geiger das Paddel nach vorn stieß, zuckte Jackie vor dem bevorstehenden Aufprall zusammen – und das Paddel verharrte einen Zentimeter vor ihm in der Luft. Er verdrehte die Augen, und sein Kopf sank zur Seite.
»Was ich jetzt zu sagen habe, John, ist wichtig, also nicke bitte, wenn ich damit zu dir durchdringe.«
»Fick … dich … ins … Knie.«
Geigers Finger begannen einen Tanz auf seinen Oberschenkeln.
»In diesem Raum, John, befassen wir uns mit der Wahrheit, und wir bleiben hier, bis wir sie gefunden haben. Ich glaube durchaus, dass du von dem überzeugt bist, was du mir gerade über dich gesagt hast. Ich glaube, du hast den Menschen beschrieben, für den du dich hältst. Aber ich stimme dir nicht zu.« Er verließ den Würfel. »Meine Aufgabe besteht im Abruf von Informationen, aber manchmal muss ich jemanden erst dazu bringen, sich seiner Stärken und Schwächen besser bewusst zuwerden. Ihm klarmachen, wozu er fähig ist und wozu nicht. Ihm helfen, sein wahres Ich zu entdecken.«
Geiger ging zu der Wand genau vor Jackie Cats.
»Versuche zu erkennen, wer du wirklich bist hinter all den Spitznamen und dem ganzen Getue. Versuch es, John. Danach reden wir weiter. Mal sehen, wie weit wir kommen. Dann frage ich vielleicht sogar nach den Informationen, die ich brauche.«
Geiger drückte einen Knopf auf dem schwarzen Bedienfeld an der Wand, und eine neue Dusche ergoss sich über Jackie Cats, der grunzte, sich aber kaum bewegte. Geiger drückte einen weiteren Knopf, und sämtliche Lampen im Würfel erloschen, bis auf die Minispots.
»Das kenne ich alles schon, du Scheißkerl«, stieß Jackie Cats hervor.
Der Lärm der kämpfenden Katzen setzte wieder ein, und aus dem Dunkeln ertönte Geigers Stimme, so monoton wie zuvor.
»Ich brauche die Namen der Männer, die dir geholfen haben, das Geld zu stehlen, John.«
Der Satz war aufgezeichnet und wurde immer wieder abgespielt. Mit dem Katzengeschrei verflochten, sprach die Stimme jedes Mal die gleichen Worte, immer und immer wieder. Ich brauche die Namen der Männer, die dir geholfen haben, das Geld zu stehlen, John. Ich brauche die Namen der Männer, die dir geholfen haben, das Geld zu stehlen, John. Ich brauche die Namen …
Plötzlich stieß Jackie Cats einen Laut aus, der ihn selbst in Erstaunen versetzte, trotz seiner Schmerzen und der unterschwelligen Angst. Er hatte gewimmert.
5
Im Wohnzimmer seines Apartments in Brooklyn Heights saß Harry am Schreibtisch, nippte von seinem Morgenkaffee und blickte über den East River. Er schob die Hand in die Jogginghose und tastete vorsichtig. Auf seinem unrasierten Gesicht lag ein finsterer Ausdruck. Gestern am späten Abend hatte er während eines langen Duschbads, wie er es liebte, etwas entdeckt, das ihn trotz des heißen Wassers hatte frösteln lassen – ein kleines Ding unter der Haut in seinem Schritt. Die Schwellung war so groß wie eine Weinbeere und halbfest.
Seine Jahre in der Todesanzeigenredaktion der New York Times , wo er beschäftigt gewesen war, bis er Geiger begegnete, hatten Harry davon überzeugt, dass man früher oder später Krebs bekam, hatte man das Alter von vierzig Jahren erst überschritten. Der kleine Prozentsatz der Menschen, die nicht vierzig wurden – die bei einem Frontalzusammenstoß umkamen oder ermordet wurden oder an einem Herzanfall starben –, hätte ebenfalls Krebs bekommen, hätte er nur länger gelebt. Harry war vierundvierzig und konnte seinem Körper, früher ein Waffenbruder im Kampf gegen die Welt, heute nicht mehr vertrauen.
Weitere Kostenlose Bücher