Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spezialist: Thriller

Der Spezialist: Thriller

Titel: Der Spezialist: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
Vom Netzwerk:
brachte sie in die Küche und warf sie in die Waschmaschine; dann ging er zu seinem Kleiderschrank. Als er davorstand, stiegen ein Bild und ein Geräusch aus einem Ort tief in seinem Innern auf. Er war im Dunkeln; eine Tür öffnete sich, und ein Schattenriss fragte barsch:
    »Hast du dich bepisst, Junge?«
    »Nein, Pa. Ich hab eingehalten.«
    »Gut.«
    Geiger nahm eine Unterhose, Shorts und ein T-Shirt aus den Schubladen und ging zurück zum Bad.

12
     
    Je länger Harry über Hall nachdachte, desto mehr drohte seine Furcht in Verfolgungswahn umzuschlagen. Als er vor dem Waschsalon ein Taxi heranwinkte und mit Lily hinten einstieg, bat er den Fahrer, sie nach Manhattan zu bringen und an der Ecke 76th Street und Columbus abzusetzen; dort gab es ein Diner, das in seinen Augen einer sicheren Zuflucht noch am nächsten kam. Harry hatte erwogen, in ein Hotel zu gehen, sich dann aber dagegen entschieden. In seiner Brieftasche war nicht mehr viel Bargeld – er verfluchte sich, dass er nicht daran gedacht hatte, mehr einzustecken, als er die Wohnung verließ –, und weil er keine Scheckkarte besaß, musste er vorerst mit dem auskommen, was er dabeihatte. Außerdem sahen sich Portiers die Gäste beim Einchecken genau an – besonders die, bei denen die eine Gesichtshälfte blau und geschwollen ist und die als einziges Gepäckstück eine Verrückte bei sich haben. In einem Diner hingegen achtete niemand auf die anderen Gäste. Man ging hinein, setzte sich und aß. Vielleicht las man Zeitung oder unterhielt sich, falls man in Begleitung war, aber andere Leute zu beobachten stand nicht auf der Speisekarte.
    Das Taxi roch nach Schweiß und Fichtenaroma, und aus dem Radio dröhnte Countrymusic. Sie hatten die Manhattan Bridge zur Hälfte überquert. Der Taxifahrer trug die Baseballmütze mit dem Schirm nach hinten, schlug im Takt der Schnarrtrommel gegen das Lenkrad und riss Witze über die schmalen, verstopften Fahrspuren auf der Brücke.
    Lily saß neben Harry. Seit er ihr die himmelblaue Bluse gekauft hatte, war sie leichter geworden, und die weite Kleidung ließ sie mehr denn je wie ein Kind aussehen. Harry wusste, dass er sich um einige Dinge würde kümmern müssen, ehe er Lily wieder zum Heim bringen konnte. Sie würde Hunger bekommen. Und Tabletten brauchen. Er hatte keine Ahnung, ob sie Medikamente bekam, und wenn ja, welche.
    Harry umfasste ihre Hand. »Du hast immer meine Hand genommen, weißt du noch?«, sagte er, ohne mit einer Antwort zu rechnen. »Sogar noch, als wir erwachsen waren und ins Kino oder essen gegangen sind. Erinnerst du dich?« Er drückte leicht ihre Finger, aber sie blickte starr nach vorn und reagierte nicht. Dennoch fühlte Harry sich durch die Erinnerung an ihre alte, kostbare Verbundenheit in einer Zeit, als sie beide ganz andere Menschen gewesen waren, ein bisschen aufgemuntert.
    Das leichte Pochen in seinem Kopf war zu einem dumpfen Hämmern geworden. Er beugte sich zur Trennscheibe aus Plastik vor und sagte zum Fahrer: »Könnten Sie das Radio ausmachen?«
    »Was denn, mögen Sie Country nicht?«, fragte der Fahrer. Seine Stimme hatte einen öligen, gedehnten Südstaateneinschlag, der Harry überraschte.
    »Ich brauche nur ein bisschen Ruhe. Ich habe Kopfschmerzen.«
    »Kein Problem, mein Freund.«
    Der Fahrer drückte einen Knopf am Radio, und die Musik verstummte. Als Harry sich zurücklehnte, fuhr Lily auf und packte ihn mit ihren kleinen Händen am Revers seines Sportsakkos. Mit erstaunlicher Kraft riss sie ihn hin und her, wie ein Kind bei einem Wutanfall. Sie wimmerte durchdringend – ein gequälter Laut, bei dem der Fahrer den Kopf herumriss.
    Harry ergriff Lilys Handgelenke. »Lily! Was ist denn? Was ist los?«
    »Mach das nicht!«, jaulte sie. »Mach das nicht!«
    »Lily, hör auf!«
    »Nein – nein – neiiin!«
    Der Laut ging Harry durch Mark und Bein. Es war ein Sirenengeheul des Wahnsinns und Verlusts.
    »Du liebe Güte«, sagte der Taxifahrer. »Was will sie denn?«
    Plötzlich begriff Harry. »Schalten Sie das Radio wieder ein.«
    Der Taxifahrer drückte rasch den Knopf. Die strahlenden Gitarrenklänge waren wieder zu hören, und Lilys Jaulen wurde leiser und endete schließlich wie die Bewegungen eines auslaufenden Aufziehspielzeugs.
    »Na also«, sagte der Fahrer. »Das lob ich mir.« Er lachte leise auf und drückte rasch hintereinander viermal die Hupe, während er in die Ausfahrt einbog.
    Harry zog sanft an Lilys Handgelenken. Ihre Fäuste lösten sich von seinem

Weitere Kostenlose Bücher