Der Spiegel der Königin
sofort wieder. Das Tier schnaubte ein weißes Wolkengespenst in die Luft und spitzte die Ohren.
»Wie heißt dieses Pferd?«, rief sie Lars hinterher. Der alte Reitmeister blieb stehen.
»Oh, der – Enhörning. Er gehört zu Herrn Magnus ’ Pferden. Wird mal ein gutes Streitross. Der junge Vai n court hat ihn geritten.«
»Ich weiß«, sagte Elin. Und in Gedanken setzte sie hinzu: Wenn man es reiten nennen kann.
»Aber nur bis zu seinem Unfall«, meinte Lars. »Dann hat die Marquise darauf bestanden, dass er ein anderes Pferd bekommt.« Er lachte, trat zu dem Tier und klopfte ihm den Hals. »Der Sanftmütigste ist er zwar nicht, aber der Schnellste allemal.«
»Enhörning«, sagte Elin leise zu sich selbst. Einhorn. »Kann ich ihn reiten?«, fragte sie zaghaft. Lars warf ihr einen Blick zu, als hätte sie gefragt, ob sie einen Wal d troll satteln dürfe.
»Wo denkst du hin, Scheuerfräulein!«, rief er. »Ein Pferd ist keine seelenlose Maschine, was auch immer uns die Kriegsherren, die Pfaffen oder irgendwelche Franz o sen weismachen wollen. Du kannst nicht jeden belieb i gen Reiter draufsetzen.
Ein Reiter muss sein Pferd verstehen. So wie die K ö nigin«, fügte er mit unverhohlenem Respekt hinzu. » Sie könnte Enhörning jederzeit reiten. Er ist dickköpfig, er braucht einen Reiter, der anstelle der Sporen den Verstand gebraucht. Nein, für dich habe ich etwas Pa s senderes.«
Mit diesen Worten trat er in die Box auf der anderen Seite des Stalles und führte ein stämmiges, braunes Pferd mit hellem Bauch und schwarzen Fesseln aus dem Ve r schlag. Seine Mähne war kurz und struppig und so schwarz wie seine Beine. Im Halbdunkel des Stalles leuchtete sein helles Maul, als hätte es seine Nase eben in einen Eimer mit Milch getaucht.
»Das ist Spelaren , ein guter Nordschwede. Seine Ra s se stammt von den Wildpferden ab, die schon die Svea-Könige durch alle Schlachten getragen haben. Er ist wie geschnitzt für Ritte im tiefsten Schnee.«
Elin warf Enhörning einen letzten, sehnsüchtigen Blick zu und gab sich fürs Erste geschlagen.
Ein Pferd aufzuzäumen war nicht halb so schwierig wie Gudmunds störrischen Kutschgaul anzuschirren. Schwieriger war es dagegen, sich in den Sattel hochz u ziehen. Spelaren legte die Ohren an und stöhnte, als wü r de man ihm eine Schiffskanone auf den Rücken laden. Lars schwang sich auf sein eigenes Pferd, einen rotbra u nen Hengst, dem Spelaren gerade mal bis zur Schulter ging, und wies Elin an, ihm nach draußen zu folgen.
»Heute werden wir ein paar Runden im Lustgarten der Königin reiten. Er liegt direkt hinter dem Palast Makalös. Du wirst lernen, die Zügel und die Beine richtig einz u setzen. Also: Los!«
Elin kam es vor, als würde sie auf einem schwanke n den Weinfass sitzen. Vor Aufregung entglitt ihr der linke Zügel. Unendlich weit unter ihr zog der Boden vorbei. Noch tauchten einige zaghafte Sonnenstrahlen den köni g lichen Lustgarten in spärliches Frühnachmittagslicht. In weniger als einer Stunde würde es wieder dunkel werden. Im Garten brannten bereits Fackeln und Laternen. Z ö gernd hob Elin den Kopf und sah durch die Pferdeohren nach vorn.
»Na los!«, rief Lars ihr zu. »Wenn dich jemand sieht, wird er dir anbieten, dein Pferd zu tragen, damit es schneller geht!«
Elin nahm ihren ganzen Mut zusammen, lockerte die Zügel und drückte die Unterschenkel fester an die Se i ten des Pferdes. Spelaren reagierte und ging schneller. Und plötzlich, als sich Elin in den wiegenden Rhythmus eingefunden hatte, war sie glücklich. Lars sah ihr stra h lendes Gesicht und begann mit dem richtigen Unte r richt.
Die Sonne hatte sich kaum vom Fleck bewegt, als Elin schon in hohem Bogen durch die Luft segelte. Die Wo l ken glitten über ihr hinweg, dann ein Himmel aus Schnee und Hufspuren. Gerade noch konnte sie die Arme an den Körper ziehen, da schlug sie schon auf dem gefrorenen Boden auf. Vor Schmerz wollte sie aufschreien, doch sie bekam keine Luft. Benommen setzte sie sich auf, krüm m te sich und rang nach Atem. Ihr Rock war voller Schneematsch und Schmutz und ihre Seite schmerzte so stark, dass Elin, sobald sie wieder Luft schöpfen konnte, fluchte wie Gudmunds Viehknecht. Das Schlimmste war die Enttäuschung. Lars vergewisserte sich mit einem ku r zen Blick, dass sie unverletzt war, dann schüttelte er u n gerührt den Kopf.
»Was habe ich dir gesagt? Pass auf die Fersen und die Zügel auf! Verstehst du jetzt, warum dein Pferd › Spi e ler ‹
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