Der Spion und die Lady
zerbrechlich, wie eine Porzellanfigur.«
Auch er stellte seine Tasse ab und achtete sorgsam darauf, daß sie kein Geräusch verursachte. Wenn er Desdemona auf die Probe stellte, hatte sie das Recht, das gleiche zu tun.
»Ja, Dianthe war sehr schön.«
»Sie und ich könnten nicht unähnlicher sein.«
»Ich hoffe zu Gott, daß das stimmt«, erwiderte er, und es gelang ihm nicht, die Bitterkeit aus seiner Stimme herauszuhalten. »Denn wenn nicht, könnte ich den zweiten großen Fehler meines Lebens begehen.«
Während des ganzen Gesprächs hatte sich Desdemona tief verunsichert gefühlt. Die letzten Worte des Marquis gaben ihr etwas von ihrer Selbstsicherheit wieder. Sie war froh, daß er ebenso verletzlich war wie sie. »Was ist geschehen?«
Er stand auf und begann rastlos auf und ab zu laufen.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Als wir heirateten, war ich wie berauscht von ihr. Ich konnte kaum fassen, daß sie mich so vielen anderen vorgezogen hatte.« Er zuckte mit den breiten Schultern. »In meiner blinden Vernarrtheit erkannte ich den Grund nicht: In jenem Jahr war ich der Kandidat mit dem höchsten Titel und dem größten Vermögen auf dem Heiratsmarkt. Aber sie verstand es geradezu perfekt, die süße, harmlose Unschuld zu spielen. Es war sehr leicht, sich von ihr hinters Licht führen zu lassen.«
»Aber sie muß doch immerhin etwas für Sie empfunden haben. Keine vernünftige Frau würde sich bei freier Auswahl für einen Mann entscheiden, den sie nicht mag.«
Seine Miene wurde sarkastisch. »Ich war ihr nicht rundheraus unsympathisch, aber wie sie mir später bei einer unserer kleinen
Auseinandersetzungen anvertraute, hat sie sich schon vor dem Ende unserer Flitterwochen mit mir tödlich gelangweilt. Damit hätte sie zwar gerechnet, aber nicht so schnell und so gründlich.«
Desdemona zuckte zusammen. Diese
Grausamkeit erinnerte sie schmerzlich an ihre eigene Ehe.
»Aber Dianthe war nicht unpragmatisch«, fuhr er fort. »Sie war durchaus bereit, sich im Tausch gegen Geld und Stand mit meiner Langweiligkeit abzufinden. Sie hatte eine erstaunliche Begabung fürs Geldausgeben, und sie wollte unbedingt eine Marquise werden.«
»Sie ist zusammen mit dem Kind im Wochenbett gestorben, nicht wahr?« Desdemona erinnerte sich, davon in der Zeitung gelesen zu haben und auch an ihr Gefühl des Bedauerns über den allzu frühen Tod der schönen Frau.
»Ja.« Giles stützte die Faust am Kaminsims ab und blickte lange in die Flammen. »Kurz vor ihrem Tod, als es so aussah, als würde das Kind überleben, sagte sie mir, daß es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von mir war.
Sie schien es fast zu bedauern. Normalerweise sorgen Frauen in ihrer Situation für einen oder zwei legitime Erben, bevor sie eigene Wege gehen. Das hatte sie wohl auch vor, aber… Unfälle sind eben nicht auszuschließen.«
Desdemona empfand tiefes Mitgefühl. Zum ersten Mal in ihrem Leben rang sie sich einem Mann gegenüber zu einer Geste des Trostes durch –
ohne Furcht davor, daß er falsch reagierte. Sie legte ihre Hand auf seinen Hemdärmel und sagte:
»Das alles tut mir unendlich leid. Sie hat Sie nicht verdient.«
Auch wenn er seine Stimme perfekt beherrschte, fühlten sich seine Armmuskeln unter ihren Fingern wie gespannte Eisendrähte an. »Es war mir zwar nicht bewußt, aber wir hatten wohl sehr unterschiedliche Vorstellungen von unserer Ehe.
Meine hat sich als katastrophal falsch herausgestellt.« Mit fast unhörbarer Stimme fügte er hinzu: »Aber das Schlimmste von allem war, nicht richtig trauern zu können.«
»Das verstehe ich gut«, erwiderte sie leise. »Als mein Mann starb, empfand ich Erleichterung, Schuld, ein unpersönliches Bedauern über einen sinnlosen Tod. Es war eine sehr… komplizierte Mischung.«
Er hob die Hand und ließ sie kurz auf ihren Fingern ruhen. »Ich bin Sir Gilbert ROSS zwar nie persönlich begegnet, aber er stand im Ruf eines Spielers.«
»Unter anderem.« Jetzt starrte Desdemona in die Flammen.
Sie hatte noch nie mit jemandem über ihre Ehe gesprochen, aber die Aufrichtigkeit des Marquis verlangte ähnliche Offenheit von ihr. »Er ist eines Nachts in einem Straßengraben ertrunken – im Vollrausch. Das buchstäblich einzig Fürsorgliche in seinem Leben war sein Tod nach einem hohen Gewinn am Spieltisch, so daß genügend da war, um seine Schulden zu bezahlen und noch etwas übrig zu behalten. Das und ein bescheidenes Vermächtnis einer Tante gestattete mir
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