Der Stalker
klingelte ihr Handy.
Sie nahm ab.
»Hi, hier ist – also, ich bin’s, Mickey. Von der Arbeit.«
Sie war überrascht, ließ sich aber nichts anmerken. »Ja, ich weiß. Mickey. Hi, was gibt’s denn?«
»Na ja, also, die Sache ist die. Ich hatte mich gefragt …«
Sie schmunzelte. Wartete.
»Es gibt da ein paar Sachen an dem Fall, die ich … gerne mal mit jemandem besprechen würde. Und, na ja, ehrlich gesagt warst du die Einzige, die mir eingefallen ist.«
Fast hätte Anni laut gelacht. Wenn das nicht die lahmste Anmache war, die sie seit langer, langer Zeit gehört hatte. Zumindest von einem Kollegen.
»Tut mir echt leid, Mickey, aber ich bin total erschossen.« Das war keine Lüge. »Ich wollte heute ausnahmsweise mal früh ins Bett gehen. Vielleicht können wir uns morgen drüber unterhalten?«
Sie hörte die Enttäuschung in seiner Stimme, als er antwortete. »Ja, klar. Morgen. Dann bis morgen. Tut mir leid, also – wegen der Störung.«
Erneut musste sie schmunzeln. Auf dem Revier machte Mickey immer einen auf Alphamännchen, aber privat war er eigentlich ganz lieb. Und ziemlich schnuckelig, wenn sie es sich genau überlegte.
Sie wünschte ihm eine gute Nacht und legte auf.
»Jawoll, Mädel«, sagte sie laut zu sich selbst. »Du hast es noch drauf.«
Dann ging sie und ließ sich ein Bad ein.
Mickey Philips ließ das Telefon sinken und seufzte. Snow Patrol lief im Hintergrund, und Gary Lightbody sang davon, dass sie das Einzige war, was er je in seinem Leben richtig gemacht hatte.
Er selbst hatte gar nichts richtig gemacht. Im Gegenteil, er war die Sache völlig falsch angegangen. Jetzt dachte Anni bestimmt, dass er scharf auf sie war. Also gut, vielleicht stimmte das ja auch, aber darum ging es gar nicht. Er hatte da so ein komisches Gefühl, was den Fall anging. Einen Verdacht, über den er unbedingt mit jemandem reden wollte. Um herauszufinden, ob er sich das Ganze vielleicht bloß einbildete. Oder eben nicht.
Hoffentlich Ersteres.
Aber daraus würde jetzt wohl nichts werden. Morgen würde er garantiert keine Gelegenheit finden, mit Anni unter vier Augen zu sprechen. Nicht ohne bei ihr den Eindruck zu erwecken, dass er auf sie stand. Er würde seinen Verdacht also erst mal für sich behalten müssen.
Ich wollte früh ins Bett gehen ? Alles klar. Was für eine faule Ausrede war das denn?
Er stöhnte, griff nach der Fernbedienung und stellte die Stereoanlage aus. Er war nicht mehr in der Stimmung.
Einerseits war alles viel komplizierter gewesen, als er noch beim Rauschgift gewesen war. Aber andererseits auch viel einfacher.
Er stand auf. Er wollte nicht den ganzen Abend in der Wohnung hocken.
Er würde in irgendeine Bar gehen, ein paar Bierchen trinken.
Sich von seinem Verdacht ablenken.
Und dabei hoffentlich nicht Anni über den Weg laufen, die gerade »früh ins Bett« ging.
Er zog die Wohnungstür hinter sich zu.
54 »Also, wo waren wir stehengeblieben?«
Phil nahm wieder Howe gegenüber Platz. Der Professor war schon jetzt mit den Nerven am Ende. Er hatte sich die Tränen abgewischt, aber sein Gesicht schien in der kurzen Zeit, die Phil nicht im Raum gewesen war, um zehn Jahre gealtert zu sein.
Die Tatortfotos lagen noch auf dem Tisch, genau dort, wo Phil sie hatte liegen lassen. Howe hatte sie nicht angerührt.
»Und? Haben Sie sich alles gut angesehen?«, fragte Phil. »Sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit? Aber so richtig ist man das ja nie, stimmt’s? Rückblickend gibt es immer irgendwas, was man hätte besser machen können. Etwas, das einem anfangs wie eine gute Idee vorkam, aber wenn man dann fertig ist, merkt man, dass es doch nicht ganz richtig war.« Er lehnte sich über den Tisch. »Geht Ihnen das auch so, Anthony? Gibt es hier etwas« – er zeigte auf das Foto der Leiche vom Feuerschiff –, »das Sie vielleicht noch hätten verbessern können? Hm?« Er lehnte sich zurück, die Hände flach auf dem Tisch. »Was wäre das? Sagen Sie es mir.«
Howes Stimme war dünn und zittrig. »Ich … ich habe diese Frau noch nie gesehen. Ich war das nicht. Ich war das nicht …«
Während der Vernehmungspause war Phil nach nebenan in den Beobachtungsraum gegangen. Ben Fenwick und Fiona Welch, die durch den Spiegel zugesehen hatten, drehten sich zu ihm um, als er eintrat.
»Gut so«, empfing ihn Fiona. »Lassen Sie jetzt bloß nicht locker. Er wird einknicken, das weiß ich ganz genau. Sie müssen nur dranbleiben.«
Fenwick hingegen wirkte leicht beunruhigt.
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