Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
in der Vergangenheit niemand etwas auf den Stein gegeben hat«, sagte Kolost finster. »Aber jetzt ist das anders. Der Stein der Könige wurde den Zwergen vom Wolf gegeben. Der Stein gehört uns. Niemand hat das Recht, ihn uns zu stehlen.«
»Die Wahrheit ist, dass du glaubst, du könntest ihn brauchen«, meinte Wolfram listig. »Weißt du, wer ihn genommen hat? Irgendwer wird den Dieb doch gesehen haben.«
Kolost schüttelte den Kopf. »Es ist heimlich und in der Nacht passiert. Niemand hat etwas gesehen oder gehört.«
Wolfram kratzte sich am Kopf. Seit zweihundert Jahren war der Zwergenteil des Steins der Könige sicher in Saumel, der Stadt der Pferdelosen, aufbewahrt worden. Kein Zwerg würde ihn je stehlen. Dieser Kolost war der Erste, dem Wolfram je begegnet war, der überhaupt etwas von dem Stein wusste und mehr über ihn in Erfahrung bringen wollte. Saumel war eines der Handelszentren des Zwergenlands. Angehörige anderer Völker durften die Stadt betreten, aber man erwartete, dass sie sich nur in bestimmten Stadtteilen aufhielten. Die Zwerge hatten keine Wachen beim Stein der Könige aufgestellt, wenn man von den Kindern einmal absah.
»Was hat Feuer gesagt?«, erkundigte sich Wolfram. »Wusste sie, wer der Dieb sein könnte?«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Kolost und runzelte verwirrt die Stirn. »Diese Frau ist seltsam. Sie verhält sich nicht wirklich wie eine Zwergin. Ich weiß nicht, ob ich ihr trauen kann.« Bei diesem Satz warf er Wolfram einen Blick zu.
»Ach, Feuer ist schon in Ordnung«, tat Wolfram die unausgesprochene Frage ab. »Und wenn sie es wüsste, würde sie es dir verraten. Was hat sie gesagt?«
»Sie meinte, sie selbst könne mir nicht helfen, aber es gebe hier einen Zwerg, der über den Stein der Könige mehr wüsste, weil er Paladin sei.«
»Paladin
war«,
verbesserte Wolfram verärgert.
»War.
Ich bin keiner mehr. Ich habe es aufgegeben.«
»Feuer ist anderer Ansicht«, meinte Kolost.
»Was weiß sie denn schon davon?«, schnaubte Wolfram.
»Sie weiß, dass du dich vielleicht selbst aufgegeben hast. Aber der Wolf wird dich niemals aufgeben.«
Wolfram grunzte. Manchmal fluchte er beim Wolf, aber enger war die Beziehung zwischen ihnen dieser Tage nicht.
Kolost kam auf die Beine. »Wir werden morgen weiter über diese Sache sprechen. Wirst du diese Nacht das Feuer mit mir teilen?«
Ans Feuer eines Zwergs eingeladen zu werden, ist eine große Ehre, ein Zeichen der Freundschaft. Wolfram erkannte jedoch die Falle, die dahinter steckte, und gratulierte sich dazu, wie schlau er ihr auswich.
»Ich danke dir, Clanführer«, sagte er. »Es ist Vollmond, und die Straße lockt. Ich bin schon viel zu lange hier geblieben. Ich muss aufbrechen.«
Er erwartete, dass Kolost zornig oder beleidigt wäre. Er würde mit beidem zurechtkommen.
»Die Kinder wurden ermordet«, sagte Kolost.
Wolfram zuckte zusammen, als hätte ihn jemand mit einer Nadel gestochen.
»Wie meinst du das?«, fragte er in einem Versuch auszuweichen. »Welche Kinder?«
»Dunners Kinder. Die Kinder, welche die selbst ernannten Hüter des Steins waren. Der Dieb hat sie umgebracht. Die Kinder haben gekämpft, um den Stein zu verteidigen. Sie sind als Helden gestorben. Ich wünsche dir weiches Grasland, Wolfram.«
Das war gleichbedeutend mit dem Wunsch für eine sichere Reise. Kolost verließ das Kloster. Wolfram starrte noch lange, nachdem Kolost gegangen war, in die Flammen. Er starrte so lange hinein, bis seine Augen von dem hellen Licht zu brennen begannen.
Zumindest war das die Erklärung, die er sich für die Tränen gab.
Kolost und seine Eskorte waren bei Sonnenaufgang wach, löschten ihr Feuer und packten ihre geringe Habe. Kolost hatte getan, was er tun wollte. Seine Frage war gestellt und beantwortet worden. Dass die Antwort unbefriedigend ausgefallen war, nahm er mit dem unerschütterlichen Fatalismus hin, welcher ihn durchs Leben getragen hatte. Er bereitete sich darauf vor weiterzuziehen.
Wolfram beobachtete die Zwerge aus dem Schatten des Klostereingangs heraus. Er hatte in dieser Nacht schlecht geschlafen, da ihn seltsame Träume in Unruhe versetzt hatten. Er beschloss, Kolost zumindest noch ein paar Fragen zu stellen.
Die Zwerge sahen ihm schon an seinem langen Bart und dem Fehlen von Clanzeichen an, dass er ein Pferdeloser war, und betrachteten ihn mitleidig. Wolfram beachtete sie nicht weiter. Er hatte solche Blicke schon öfter ertragen müssen. Viel zu oft. Er ging direkt zu Kolost,
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