Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
Regentin zum Nachgeben gezwungen, da ihr die Argumente ausgingen. Jetzt musste sie versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen und Dagnarus aus dem Saal zu bringen, ohne die Barone zu erzürnen. Aber diese Mühe hätte sie sich sparen können, denn es war zu spät.
Sie hatten nicht mit dem König gerechnet.
Hirav III. beugte sich vor und sagte laut: »Wir haben Eure Behauptung vernommen, Sir, dass Ihr einen rechtmäßigen Anspruch auf den Thron habt. Wir würden gerne hören, wie Ihr diesen Anspruch begründet.«
Die Regentin versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen. »Euer Majestät, Ihr braucht Euch keine Gedanken …«
»Wir wollen es hören«, sagte der König mit einem Blick zu Clovis. »Bitte, Sir, sprecht.«
»Selbstverständlich, Euer Majestät«, sagte Dagnarus mit angemessenem Ernst. »Ich bin Prinz Dagnarus, der zweite Sohn des verstorbenen König Tamaros von Vinnengael. Mein älterer Bruder Helmos ist ebenfalls tot, und daher bin ich Tamaros' einziger überlebender Erbe und der wahre und rechtmäßige König.«
Während des darauf folgenden Tumults schrie die Regentin die Wachen an, sie sollten Seine Majestät an einen sicheren Ort bringen – eine Ausrede, um ihn loszuwerden. Der König befand sich nicht in Gefahr. Die erhobenen Stimmen und leidenschaftlichen Worte bezogen sich nicht auf ihn, wohingegen die Regentin ihren Anteil an empörten Zurufen erhielt. Einige forderten den Kopf des Hochstaplers, andere den der Regentin. Einige wollten, dass man Dagnarus weiter sprechen ließ, andere verlangten, er solle in den Arven geworfen werden. Der König weigerte sich mit dem Starrsinn eines Kindes, den Saal zu verlassen, und die Regentin konnte vor der Nase der wütenden Barone wohl kaum befehlen, ihn gegen seinen Willen aus dem Raum zu zerren.
Die Wachen scharten sich um den Thron und zückten die Waffen. Der kleine Hirav wirkte ernst und schüchtern, aber keinesfalls verängstigt. Er schaute Dagnarus an, und das war vollkommen normal. Dagnarus sah erst zu dem Kind hin, als wollte er sich davon überzeugen, dass Hirav in Sicherheit war, dann wandte er seine Aufmerksamkeit in aller Ruhe der Versammlung zu und blieb gelassen stehen, die Andeutung eines Lächelns auf den Lippen.
Die Unruhe in der Halle gab Rigiswald Gelegenheit, den Lord der Leere genauer zu betrachten. Er strengte sich sehr an, äußerliche Anzeichen dafür zu erkennen, dass die Leere am Werk war.
Er suchte nach irgendeinem körperlichen Hinweis darauf, dass das Leben dieses Mannes mit Hilfe dämonischer Magie verlängert worden war, die niemals freiwillig gibt, sondern stets einen Preis fordert.
Dagnarus' Haut jedoch war glatt und gesund. Nur seine Hände waren schwielig und von Narben gezeichnet, aber das gehörte sich für einen Krieger, denn die Schwielen entstanden durch den Schwertgriff, und bei den Narben handelte es sich um Kampfnarben und nicht um solche, welche von Schwären und Abszessen herrühren. Sein Körper war fest und muskulös. Er hielt sich aufrecht und machte allgemein einen angenehmen Eindruck. Und ganz bestimmt sah er nicht so aus, als wäre er zweihundert Jahre alt.
Rigiswald konnte Dagnarus nur von der Seite sehen, und er dachte gerade, dass er ihm gern einmal aus der Nähe in die Augen schauen würde, als Dagnarus sich zu ihm umwandte.
»Wollt Ihr mein Porträt malen, alter Herr?«, fragte Dagnarus mit einem leicht spöttischen Lächeln und erhobener Stimme, um sich über den allgemeinen Aufruhr verständlich zu machen.
»Ja, das würde ich gern tun«, antwortete Rigiswald, »und es zu diesem Gemälde hinzufügen.«
Er wies mit einem Nicken zu einem anderen Teil der Wandmalereien, der Helmos nach seiner Verwandlung zeigte. König Tamaros stand neben seinem Sohn, welcher die schimmernde Rüstung eines Paladins trug. Die Gesichter strahlten vor entrückter Freude, was wohl der künstlerischen Freiheit zu verdanken war, denn die Historiker berichteten, Helmos sei Lord des Kummers geworden – das einzige Mal, dass die Götter einen solch sorgenvollen Titel an einen Paladin vergeben hatten. Dagnarus, der zweite Sohn, war nirgendwo zu sehen.
Dagnarus warf einen Blick auf das Bild. Lange betrachtete er die beiden Gestalten, Vater und Sohn, für immer in geteiltem Stolz und in einer Freude vereint, die den jüngeren Sohn, den wilden Sohn, den, welcher nicht gut genug gewesen war, auf ewig ausschloss. Dann erwiderte Dagnarus den Blick des alten Magiers, und Rigiswald erhielt die gewünschte Gelegenheit.
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