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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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obwohl es nicht geblutet hat.« Und danach war Denise heimgegangen. Nicole war fest davon überzeugt, sie sei beleidigt gewesen, weil Denise gar nicht mehr mit ihr gesprochen hatte. Und Nicole verteidigte sich.
    »Nur so komisch angeguckt hat sie mich. Aber ich konnte doch nichts dafür, daß sie hingefallen ist. Herr Genardy hat auch gesagt, ich konnte nichts dafür. Er hat gesagt, wenn es so sehr weh tut, kann er ihr eine Tablette geben; wenn sie sich dann ein bißchen hinlegt, wird es gleich besser. Aber Denise ist einfach gegangen. Sie hat ihm gar keine Antwort mehr gegeben. Man muß doch immer höflich sein, oder?« Ja, das mußte man wohl, höflich, vor allem zu netten Menschen.
    »Wir haben uns zuerst ganz lange mit ihm unterhalten. Er hat gesagt, wir stören ihn gar nicht. Er hat gerne ein bißchen Gesellschaft.« Wenn er mich nur nicht unentwegt an die dunkle Seite meines Honigmonds erinnert hätte. Von jedem, der ihn kannte, hatte ich damals gehört, daß Franz ganz verrückt auf Kinder war, daß er eine endlose Geduld mit ihnen hatte, mit all seinen Nichten. Und immer hatte er gerade noch die Mark in der Tasche, die man für ein großes Eis brauchte.
    »Herr Genardy hat gesagt, ich soll nicht traurig sein, weil Denise gegangen ist. Und als dann der Eiswagen kam, hat er mir eine Mark gegeben. Und wenn er erst richtig eingezogen ist, hat er gesagt, dann schenkt er mir was, was ich mir schon lange wünsche. Ich habe ihm gesagt, daß ich mir schon lange das Pferd für die Barbie-Puppe wünsche.« Wie schnell sich die Zeiten doch änderten. Dienstags hatte sie nicht einmal die Limonade von ihm genommen. Und ich konnte ihr nur eine Zeitung in die Hand drücken. Natürlich war es falsch, ich wußte das genau. Ich hätte statt dessen mit ihr reden müssen. Es sind nicht immer die fremden Männer. Oft genug sind es Nachbarn, Verwandte, ein Onkel, der eigene Vater. Ich konnte nicht reden, weil ich immer noch neben mir stand. Innerlich geteilt, gleich zweimal in drei Stücke. Ein Kind, das sich vor Angst wimmernd auf dem Boden wälzen wollte. Die Mutter, die sich keinen Respekt verschaffen konnte und an ihren Erinnerungen fast erstickte. Und die Frau, die nur darauf wartete, daß der Mann auf ihrer Couch ihr die Bluse auszog. Günther kam mir so fremd vor. Er zündete sich eine Zigarette an, schaute Nicole zu, die mit einem Finger die Zeilen abfuhr und dabei den Text vor sich hin murmelte. Günther fragte mich irgendwas, ich verstand es nicht. Ich hörte nur, daß Nicole sagte:
    »Sie hat heute schlechte Laune. Mit mir hat sie auch schon gemeckert.« Ich hatte keine schlechte Laune, ich bekam nur meine Gedanken nicht in die Reihe. Am Morgen hatte der Abteilungsleiter Geld einsammeln lassen.
    »Keinen Kranz«, hatte er gesagt,»keine Blumen. Ich denke mir, Frau Otten wird das Geld für andere Dinge nötiger brauchen. So eine Beerdigung reißt einem ein schönes Loch in die Kasse.« Schon da hatte ich das Gefühl gehabt, ich müßte weglaufen oder mit den Fäusten um mich schlagen oder wenigstens schreien. Als der Abteilungsleiter das Wort Beerdigung aussprach, sah ich einen weißen Sarg vor mir, einen Kindersarg. Ich sah ihn ganz deutlich mitten im Aufenthaltsraum stehen, und Franz stand daneben, grinste mich an, und meine Schwiegermutter sagte:
    »So ist das, wenn ein Mann nicht mehr weiterweiß.« Und überall war Unkraut, es waren nur keine Kaninchen da. Es brodelte immer noch, jeden Augenblick konnte mir der Kopf platzen, die Panik herausschwappen. Und es gab doch keinen Grund, keinen, der mich persönlich betraf, es war doch alles in Ordnung. Nur Hedwigs Tochter hatte sterben müssen. Günther war so ruhig. Er fragte mich wieder etwas. Nicole antwortete an meiner Stelle:
    »Nein, ein Mann. Der ist vielleicht nett. Er hat uns gleich in die Eisdiele eingeladen, wir durften uns einen Eisbecher aussuchen, Denise und ich. Er will mir das Barbie-Pferd schenken, wenn er seine neuen Möbel bezahlt hat. Und wenn die Wohnung fix und fertig ist, darf ich mir alles ansehen. Dann darf ich vielleicht auch mal bei ihm baden. Er heißt Genardy.« Ja! Er hieß Genardy, er war höflich, er war kultiviert, er war charmant, kinderlieb, ein angenehmer Mieter. Meine Tochter hatte ihn innerhalb weniger Tage zum besten Menschen auf der ganzen Welt erklärt. Meine Mutter hatte plötzlich Frühlingsgefühle entwickelt. Und ich hatte ihm die Schlüssel gegeben. Ich würde Hedwig nie mehr in die Augen sehen können. Nie mehr. Mißbraucht

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