Der Streik
des vorangegangenen Tages ein konstruktives, einträchtiges Gespräch zwischen John Galt und den Führern des Landes stattgefunden, in dem der „John-Galt-Plan“ ausgearbeitet worden sei, der demnächst vorgestellt werde. Am Abend legte sich der Schnee auf die Möbel eines Wohnhauses, dessen Fassade eingestürzt war – und auf eine Traube von Menschen, die schweigend vor dem geschlossenen Auszahlungsschalter einer Fabrik warteten, deren Besitzer verschwunden war.
„In South Dakota marschieren die Farmer in die Hauptstadt“, berichtete Wesley Mouch am nächsten Morgen Mr. Thompson. „Sie verbrennen auf dem Weg dorthin jedes Regierungsgebäude und jedes Haus, das mehr als zehntausend Dollar wert ist.“
„Kalifornien ist kurz und klein geschlagen worden“, berichtete er am Abend. „Dort tobt ein Bürgerkrieg – wenn es denn einer ist, denn dessen ist sich niemand sicher. Sie haben sich für unabhängig erklärt, aber niemand weiß, wer jetzt an der Macht ist. Es gibt im ganzen Bundesstaat bewaffnete Kämpfe zwischen einer ‚Volkspartei‘, die von Ma Chalmers und ihrer Sojabohnen-Kultgemeinschaft von Orientliebhabern angeführt wird, und einer Gruppe, die sich ‚Zurück zu Gott‘ nennt und von ehemaligen Ölfeldbesitzern angeführt wird.“
„Miss Taggart!“, stöhnte Mr. Thompson, als sie am nächsten Morgen auf seine Bitte hin in seinem Hotelzimmer erschien. „Was sollen wir nur tun?“
Er fragte sich, weshalb er einmal den Eindruck gehabt hatte, dass irgendeine beruhigende Kraft von ihr ausging. Er blickte in ein leeres Gesicht, das zwar gelassen wirkte, doch die Gelassenheit wurde beunruhigend, sobald man bemerkte, dass sie über Minuten hinweg andauerte, ohne dass sich der Ausdruck änderte, ohne den kleinsten Hinweis auf irgendeine Regung. Ihr Gesicht sah aus wie all die anderen, dachte er, nur ein Zug um ihren Mund ließ auf Standhaftigkeit schließen.
„Ich vertraue Ihnen, Miss Taggart. Sie haben mehr Verstand als all meine Leute“, sagte er bittend. Sie haben mehr für das Land getan als irgendeiner von ihnen, Sie waren es, die ihn für uns gefunden hat. Was sollen wir tun? Es geht alles in die Brüche, er ist der Einzige, der uns aus dieser Misere helfen kann, aber er tut es nicht. Er weigert sich. Er weigert sich schlichtweg, die Führung zu übernehmen. Ich habe so etwas noch nie erlebt: ein Mann, der nicht den Wunsch hat, das Kommando zu führen. Wir bitten ihn, Befehle zu geben, und er antwortet, er wolle Befehle ausführen! Das ist absurd!“
„In der Tat.“
„Können Sie sich darauf einen Reim machen? Werden Sie aus ihm klug?“
„Er ist ein anmaßender Egoist“, sagte sie. „Er ist ein ehrgeiziger Abenteurer. Er besitzt die grenzenlose Dreistigkeit, um den höchsten Einsatz der Welt zu pokern.“
Das war leicht, dachte sie. Vor langer Zeit wäre es schwierig gewesen, damals, als sie Sprache noch als ein Werkzeug der Ehre betrachtet hatte, das immer so zu gebrauchen war, als stünde man unter Eid – einem Eid der Treue zur Wirklichkeit und zur Achtung vor den Menschen. Jetzt ging es nur noch darum, Laute von sich zu geben, unverständliche Laute, die an leblose Objekte gerichtet waren, die keinen Bezug zu Begriffen wie Wirklichkeit, Mensch oder Ehre hatten.
Es war leicht gewesen, Mr. Thompson an jenem ersten Vormittag Bericht darüber zu erstatten, wie sie John Galt in seiner Wohnung aufgespürt hatte. Es war leicht gewesen, das breite Lächeln auf dem Gesicht von Mr. Thompson zu sehen und zu hören, wie er immer wieder ausrief: „ Das ist mein Mädel!“, und dabei seinen Assistenten triumphierende Blicke zuwarf, weil er sein Vertrauen in sie gerechtfertigt sah. Es war leicht gewesen, einen zornigen Hass auf Galt zu bekunden – „Ich habe früher dieselbe Meinung vertreten wie er, aber ich werde nicht zulassen, dass er meine Eisenbahn zerstört!“ – und zu hören, wie Mr. Thompson sagte: „Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Taggart! Wir werden Sie vor ihm schützen!“
Es war leicht gewesen, Mr. Thompson mit einem eiskalt berechnenden Blick und klarer, schneidender Stimme an die Belohnung in Höhe von fünfhunderttausend Dollar zu erinnern, wie eine Addiermaschine, die eine Rechnungssumme ausspuckt. Sie hatte das kurze Erstarren seiner Gesichtsmuskeln bemerkt und dann sein noch fröhlicheres, noch breiteres Lächeln – als wollte er ihr wortlos erklären, dass er damit nicht gerechnet habe, aber entzückt sei zu erfahren, was sie bewegte, zumal es etwas sei,
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