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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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vielfältig.« Meine Gnadenlosigkeit hatte eigentlich
     mir selbst gegolten, aber sie hatte es persönlich genommen.
    »Sieh mal, Sam«,
     sagte ich, »deine Großmutter hat im Augenblick viel zu tun.«
    »Das weiß ich«,
     sagte sie. »Ich war den ganzen Nachmittag hier. Es war ziemlich
     still, aber nicht halb so still wie ein Nachmittag in deinem Büro.«
    »Ich dachte, wir könnten
     uns vielleicht noch mit jemandem treffen. Und dann kommen wir wieder, wenn
     sie ein bißchen mehr Zeit hat.«
    »Jemand, der mit dem
     Fall zu tun hat?« fragte sie. »Wirklich?«
    »Wir haben keinen
     Klienten mehr«, sagte ich, denn mir war jede Gelegenheit recht, den
     Tatsachen des Lebens ins Auge zu sehen. »Aber da ich mich morgen früh
     mit Mrs. Pighee treffe und am Nachmittag mit ihrem Rechtsanwalt, könnte
     es nicht schaden…«
    »Oh, du arbeitest dran.
     Schön für dich, Daddy.«
    »Geh und hilf deiner
     Großmutter, während ich noch mal telefoniere.«
    *
    Es gab sechs McGonigles im
     Telefonbuch, und meiner war der letzte davon. Eine Frau, die wie eine
     Mutter klang, sagte, daß sie Raymond McGonigle in zehn Minuten
     erwarte, also um sechs Uhr, daß er aber um halb sieben zu Abend
     essen müsse. In der Zwischenzeit könne ich mit ihm sprechen.
    Sam und ich fanden das Haus
     erst um zehn nach sechs. Es war ein kleines Backsteingebäude,
     ziemlich weit draußen im Osten, hinter dem Brookside Park.
    »Also, du bist hier, um
     zuzuhören, nicht, um zu reden«, erklärte ich Sam im Wagen.
    »Ja, Daddy.«
    Eine stämmige Frau
     öffnete die Tür. »Ja?«
    »Mein Name ist Albert
     Samson. Ich habe vorhin angerufen, weil ich kurz mit Raymond McGonigle
     sprechen wollte. Ist er jetzt zu Hause?«
    »Raymond ist da«,
     sagte sie und betrachtete uns argwöhnisch.
    »Wer ist sie?«
    »Meine Tochter«,
     sagte ich. »Ich habe sie heute im Schlepptau. Konnte keinen
     Babysitter bekommen.«
    »Nun, dann kommen Sie
     mal rein.«
    Raymond McGonigle war ein großer,
     junger Mann Anfang zwanzig. Er saß im Wohnzimmer und trug einen
     Anzug und eine Krawatte, die schon als konservativ galten, als ich so alt
     war wie er. Ich gewann den Eindruck, daß das seine Arbeitskluft war
     und daß er sie als ihm auferlegte Last trug, bis er seine Pflichten
     endlich hinter sich gebracht hatte - mich und sein Abendessen
     eingeschlossen. Dann würde er wohl etwas Moderneres, um nicht zu
     sagen Ultramodernes, anziehen.
    »Hallo, Sie«,
     sagte er. »Willkommen in meinem Ghetto.«
    »Mr. McGonigle?«
    »Und ein bärenstarker
     Typ außerdem. Hallo, hübsche Dame.« 
    »Hallo.«
    »Ich möchte Sie
     wegen eines Unfalls befragen«, sagte ich, »dessen Zeuge Sie
     waren, wenn ich recht verstanden habe. Bei Loftus. Man hat mir gesagt, daß
     Sie dort arbeiten.«
    »Eine Stütze des
     Unternehmens.«
    »Kennen Sie einen Mann
     namens John Pighee?«
    »Oh«, sagte er,
     »das ist die Story, hinter der Sie her sind.«
    »Waren Sie dort, als es
     passiert ist?«
    Er legte den Kopf schief;
     Unbehagen malte sich auf seinen Zügen ab. »Sie bringen mich in
     Verlegenheit, Mann.«
    »Warum?«
    »Weil man mich gewarnt,
     - ööh, mir gesagt hat, daß vielleicht irgendwelche Leute
     Fragen stellen würden wegen dieser Sache und daß der Boss es
     nicht gern sähe, wenn ich darüber reden würde, ohne…
     ohne Anweisung.« Unter Streß spiegelte sich seine Erziehung in
     seinem Akzent wider.       
    »Er will alles, was Sie
     sagen, vorher zensieren?«
    »So etwas in der Art.
     Nicht«, fügte er hinzu, »daß ich viel zu sagen hätte.«
    »Sehen Sie mal«,
     sagte ich, »ich versuche nur herauszufinden, was eigentlich
     geschehen ist, damit seine Familie sich ein wenig besser fühlt. Nach
     dem, was ich gehört habe, wird er sehr wahrscheinlich sterben. Seine
     Leute wollen Bescheid wissen. Es ist keine Versicherungsangelegenheit. Sie
     können eigentlich keinen Ärger bekommen, wenn Sie mit mir reden,
     um seiner Familie ihren Seelenfrieden wiederzugeben.«
    »Ich würde das
     jedenfalls so sehen«, räumte er ein.
    »Haben Sie den Unfall
     beobachtet?«
    »Nein. Zum Teufel, um
     so etwas zu beobachten, müßte man schon mittendrin sein. Ich
     habe noch spät gearbeitet, unten am anderen Ende des Flurs, und ich
     war als erster zur Stelle. Ich hörte eine Explosion und ging hin, um
     nachzusehen.«
    »Sie waren also da, ja?
     Eine Minute nachdem es geschehen ist?«
    »Oder weniger. Es sei
     denn, ich wäre auf meine alten Tage langsamer

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