Der suendige Engel
aber ebenso häßlich, kreuzten ihren Weg, aber sie waren zu überrascht, um schnell genug zu reagieren.
Rank'Nor blieb ihr dicht auf den Fersen! Und er holte auf!
Als Lilith um eine weitere Ecke bog, sah sie vor sich ein offenes Fenster. Sie jubilierte. Mit einer letzten verzweifelten Kraftanstrengung schwang sie sich in die Nacht hinaus.
Aber dann erkannte sie, daß sie zu früh triumphiert hatte - als sie sah, wie sich Rank'Nor ebenfalls durch die Fensteröffnung zwängte.
Auf seinem Rücken wuchsen in Sekundenschnelle gewaltige Schwingen!
Doch während er sie noch entfaltete und dabei mit Blicken nach der Fledermaus suchte, ließ sich Lilith wie ein Stein nach unten fallen. Sie fing ihren Sturz erst im allerletzten Moment ab und landete bei einem Brunnen auf einem Vorplatz.
Dort verbarg sie sich und wartete ab. Es dauerte nur Sekunden, bis der nunmehr geflügelte Körper der Kreatur über ihr den schwarzen Himmel querte.
Und Rank'Nor war nicht mehr allein. Offensichtlich hatten nun auch die anderen Monster begriffen, was sie zu tun hatten. Dutzende von ihnen sah Lilith ausschwärmen.
Sie wartete ab und hatte dabei viel Zeit, über alles nachzudenken. Es war nicht viel, was sie wußte. Ganz offensichtlich war sie durch den Spalt im Fels in diese fremde Welt gesogen worden - wo eine Vampirin auf sie wartete, um durch ihre Hand zu sterben.
Bizarr. Für einen Moment dachte Lilith allen Ernstes darüber nach, ob sie nicht in Wahrheit irgendwo im Flughafen von Los Angeles auf einer Bank saß, eingenickt war und sich dieses ganze krude Zeug nur zusammenträumte.
Oder - und dabei durchfuhr sie ein schmerzhafter Stich - hatten die Träume des Widderköpfigen sie eingeholt? Befand sie sich erneut in einer Phantasiewelt, wo sie sich in ständigen Kämpfen verausgaben sollte, während das »Kind« ihre Lebenskraft raubte ? 2
Selbst wenn es so war - wie sollte sie die Wahrheit erkennen? Erst wenn der Widderköpfige auch in diesem Traum erschien? Was aber, wenn er diesmal eine andere Gestalt gewählt hatte? Zum Beispiel die eines Kolosses mit einem schuppigen Schwanz und gewundenen Hörnern .?
Lilith erkannte mit Schrecken, daß Logik ihr hier nicht weiterhalf. Über ihre Lage nachzudenken verwirrte sie nur noch mehr. Die ein-zige, an die sie sich halten konnte, war jene blonde Vampirin - Salea hatte das Monstrum sie genannt.
Aber in den Palast konnte sie jetzt nicht zurückkehren. Mit Sicherheit waren die Kreaturen dort in Alarm versetzt worden und warteten nur darauf, daß sie sich noch einmal blicken ließ.
Also blieb ihr vorerst nur eines: zu versuchen, so schnell wie möglich einen Weg aus dieser orientalisch anmutenden Stadt zu finden.
Lilith wartete noch ein paar Minuten ab, bis sie sicher war, daß die Luft rein war. Dann kroch sie unter dem Becken des Brunnens hervor und flog erneut in die Nacht hinaus.
*
Nie zuvor hatte Lilith solcherart gesehen, und mit jedem Flügelschlag, den sie zurücklegte, wuchs ihre Ahnung zur Gewißheit, sich nicht mehr auf der Erde zu befinden. In dieser Metropole schien es keine menschlichen Wesen zu geben, nur Vampire. Hier lebten nicht einzelne Sippen, die sich in einer Stadt der Menschen eingenistet hatten; es handelte sich wahrhaftig um eine Stadt der Vampire!
Und um eine Stadt des Todes. Wohin Lilith auch blickte, sah sie Schrecken und Verfall. Sie wußte nicht, was mit den Bewohnern geschehen war. Die Vampire waren nur noch Schatten ihrer selbst, zerstörte, verheerte Leiber, von einer unheiligen Kraft auf den Beinen gehalten, aber nicht mehr fähig, selbst zu handeln. Die meisten standen irgendwo reglos herum und glotzten in die Nacht, ohne wirklich zu sehen. Andere gingen routinehaft ihren alten Gewohnheiten nach - in immer stereotypen Bewegungen.
Was war mit diesen Blutsaugern passiert?
Nachdem Lilith sich aus der Luft einen ersten Überblick verschafft hatte, fand sie endlich den Mut, in einer der Gassen zu landen. Sie kam auf dem Boden auf und transformierte sofort wieder in ihre menschliche Gestalt. Der Symbiont paßte sich den Gegebenheiten an und hüllte ihre Gestalt in ein zerrissenes Gewand. In dieser nachlässigen Kleidung liefen die meisten der Bewohner herum.
Die Gasse, in der sie gelandet war, war verlassen, aber als Lilith ein paar hundert Schritte gegangen war, wurden die Straßen belebter. Aus der Luft hatte sie gesehen, daß sich die Stadt in fünf Ringe gliederte. Sie war innerhalb des Ringes gelandet, der gleich hinter der befestigten
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