Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
für einen Polizisten eine wichtige Erfahrung, selbst zu sehen, was am Ende passieren kann.«
Die Augen des Detectives blitzten vor Sarkasmus.
»Und?«, fragte Cowart.
Wilcox schüttelte den Kopf. »Es ist ja noch nicht passiert. Die Unterrichtsstunde hat doch gerade erst angefangen.« Er grinste Cowart ins Gesicht. »Sie sind ein bisschen blass um die Nase. Bedrückt Sie was?«
Bevor Cowart antworten konnte, wisperte Wilcox: »Haben Sie seine letzten Worte notiert? Es ist Mitternacht.«
Sie warteten ein, zwei Sekunden.
Eine Seitentür ging auf, und der Gefängnisdirektor trat ein. Hinter ihm kam Blair Sullivan zwischen zwei Wachmännern, gefolgt von einem dritten. Sein Gesicht war starr und bleich, fast wie das eines Toten. Sein ganzer drahtiger Körper schien plötzlich gebrechlich und eingesunken. Er trug ein einfaches, weißes Hemd, das bis zum Hals zugeknöpft war, und eine dunkelblaue Hose. Der Priester kam mit einer Bibel und einem betretenen Gesichtsausdruck hinterher. Der Kirchenmann ging mit schweren Schritten an eine Seite des Raums, fragte den Wärter mit einer stummen Geste, ob er anfangen sollte, schlug das Buch des Herrn auf und las stumm. Cowart sah, wie Sullivan die Augen aufriss, als er den Stuhl vor sich sah. Im selben Moment fuhr sein Kopf zu dem Telefon an der Wand herum, und für einen winzigen Moment schienen ihm die Knie weich zu werden, so dass er taumelte. Doch binnen Sekunden hatte er sich wieder im Griff, und das Zögern war vorbei. Zum ersten Mal hatte Cowart bei Sullivan ein annähernd normales, menschliches Verhalten gesehen. Von da an ging alles sehr schnell und ruckartig wie in einem Stummfilm.
Sullivan wurde auf den Stuhl gesetzt, zwei Wachmänner gingen auf die Knie, um die Bein- und Armriemen festzuziehen. Dann zurrten sie ihm braune Ledergurte um die Brust, die das weiße Hemd etwas aufbauschten. Ein Beamter brachte eine Elektrode am Bein des Verurteilten an, während ein anderer blitzschnell hinter den Stuhl trat und eine Haube in die Hand nahm, um sie Sullivan im richtigen Moment über den Kopf zu stülpen.
Der Wachmann trat vor und fing an, das schwarz umrandete Schriftstück mit dem Todesurteil zu verlesen, das der Gouverneur von Florida unterzeichnet hatte. Jede Silbe traf Cowart wie ein Nadelstich und machte ihm Angst, als gelte das Urteil ihm. Der Wachmann las hastig, holte dann tief Luft und versuchte, das Tempo zu drosseln. Seine Stimme klang seltsam blechern und wie von ferne. In die Wände waren Lautsprecher eingelassen, und in der Todeskammer selbst versteckte Mikrophone.
Der Vollzugsbeamte endete. Einen Moment lang starrte er auf das Blatt Papier, als hoffte er, dort noch mehr Lesestoff zu finden, dann hob er den Kopf und sah Sullivan an. »Haben Sie vor Ihrer Hinrichtung noch etwas zu sagen?«, fragte er ruhig.
»Leck mich. Legt los«, sagte Sullivan. Anders als sonst zitterte seine Stimme.
Der Beamte gab mit der rechten Hand, in der er den aufgerollten Hinrichtungsbefehl hielt, dem Beamten hinter dem Stuhl Zeichen, der daraufhin dem Gefangenen die schwarze Lederhaube mit Gesichtsmaske über den Schädel stülpte. Anschließend brachte er einen großen Stromleiter an der Haube an. Im selben Moment zuckte Sullivan und bäumte sich mit Macht gegen die Gurte auf, die ihn fixierten. Cowart sah, wie die Drachen-Tätowierungen an den Armen des Mannes zum Leben erwachten, als sich die Muskeln anspannten und bebten. An seinem Hals traten die Sehnen wie straff gespannte Seile hervor. Sullivan brüllte etwas, doch durch den Kinnriemen und die Zungenlasche zwischen den Zähnen brachte er nur unverständliche Laute heraus, ein unartikuliertes Schreien, das mit dem Grad der Panik jeweils lauter und leiser wurde.
Im Zeugenraum war außer langsamem, gequältem Ein- und Ausatmen kein Laut zu hören.
Cowart sah, wie der Vollstreckungsbeamte kaum merklich in Richtung einer Trennwand an der Rückseite der Todeskammer nickte. Darin befand sich ein kleiner Schlitz, und für einen Moment erblickte er darin ein Augenpaar.
Die Augen des Henkers.
Sie richteten sich auf den Mann im Stuhl und verschwanden.
Es gab ein dumpfes Geräusch.
Jemand schnappte nach Luft. Jemand anders hustete heftig. Es waren ein paar geflüsterte Kraftausdrücke zu hören. Für Sekunden verdunkelten sich die Lichter. Dann herrschte wieder Stille im Raum.
Cowart glaubte, nicht mehr atmen zu können, ihm war, als drückte ihm jemand mit dem Arm die Brust so fest zusammen, dass seine Lunge vollkommen
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