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Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)

Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)

Titel: Der Sumpf: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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davor. Meinen Sie, der faule Zahn da drüben führt hier abends sein Schoßhündchen gassi? Wohl kaum. Ich wette um meinen Wochenlohn, dass hier nach Sonnenuntergang alle erst mal einen picheln, dann den Fernseher anmachen und keinen Fuß mehr vor die Tür setzen, außer vielleicht diese Jugendlichen. Alle anderen sind entweder betrunken, gucken Wiederholungen von Dallas oder beten fürs Jüngste Gericht. Schätze, die ahnen alle nicht, wie nah es war.«
    Cowart ließ den Blick über die Fassade wandern. Er stellte sich das Haus bei Nacht vor und kam zu demselben Schluss wie Brown. Hier und da gab es sicher den einen oder anderen lauten Wortwechsel, einen Ehestreit oder dergleichen. Das Geschrei würde im Lärm der auf volle Lautstärke eingestellten Fernseher untergehen. Eine Flasche, die zu Bruch ging, Beschimpfungen nach ein paar Bier, vielleicht das Bellen eines Hundes. Und selbst wenn jemand hörte, wie ein Auto schnell davonfuhr, würden die Nachbarn annehmen, dass sich irgendwelche Jugendlichen mit ein bisschen Draufgängertum die Langeweile vertrieben.
    »Ein richtig guter Ort zum Töten«, bekräftigte Brown.
    Das Haus war ringsum von gelbem Absperrband eingefasst. Der Detective schob sich darunter durch. Cowart folgte seinem Beispiel an der von der Straße abgewandten Seite.
    »Da rein«, sagte Brown und zeigte auf die aufgebrochene Hintertür.
    »Die ist versiegelt.«
    »Scheiß drauf.« Brown riss die Tür mit einem kräftigen Ruck auf.
    Nach kurzem Zögern kam Cowart hinterher.
    In der Küche schlug ihnen immer noch der Gestank nach Verwesung entgegen, so dass man sich in dem Raum wie in einer Gruft vorkam. Überall im Innern des kleinen Hauses hatte die Polizeiarbeit Rückstände hinterlassen; Tisch und Stühle waren mit Spurensicherungspulver bestäubt; Kreidepfeile und -markierungen zeigten, wo sich was abgespielt oder befunden hatte. Auf dem Boden waren sämtliche Blutflecken unangetastet, auch wenn offensichtlich Proben herausgekratzt worden waren. Cowart sah, wie Brown alles aufsog und begutachtete.
    Tanny Brown ging innerlich eine Checkliste durch. Im Geist sah er die Teams der Spurensicherung bei der Arbeit, der Routine, die auf jeden gewaltsamen Tod folgte. Er kniete sich neben eine der Lachen, die auf dem hellen Linoleum inzwischen fast schwarz erschien. Er strich mit dem Finger über die teils glatte, teils spröde Konsistenz getrockneten Bluts. Als er aufstand, stellte er sich die beiden alten Leute vor, die, gefesselt und geknebelt, dem Tod entgegensahen. Er ertappte sich bei dem Gedanken, wie oft sie wohl zum Frühstück oder Abendessen auf denselben Stühlen zusammengesessen hatten, oder auch zur Bibelstunde oder irgendeiner anderen Alltagsverrichtung. Es gehörte zu den schrecklichen Aspekten der Arbeit im Morddezernat, dass das Böse völlig unerwartet in den banalen, stumpfsinnigen Alltag der Opfer eindrang; dass das, was diese Menschen als Heim, als Zufluchtsort empfunden hatten, mit einem Schlag zur Todesfalle wurde. Im Krieg hatte er es am meisten gehasst, Wunden zu versorgen, die von Minen rührten. Dabei waren die entsetzlichen Verstümmelungen nicht einmal das Schlimmste, sondern die Art und Weise, wie sie zustande kamen: Man trat mit der Schuhsohle auf, machte einen einzigen Schritt und – peng. Wenn man Glück hatte, verlor man nur einen Fuß. Hatte dieses alte Paar gewusst, dass es auf einem Minenfeld lebte? Er drehte sich zu Cowart um.
    Wenigstens er versteht das, dachte er. Selbst der Boden ist nicht sicher. Brown verließ die Küche, wo Cowart unmittelbar an der Stelle stand, an der die beiden ihr Leben ausgeröchelt hatten.
    Mit wenigen Schritten lief er durch das kleine Haus und machte eine Bestandsaufnahme des heruntergekommenen Lebens, das sich dort Tag für Tag nach dem gleichen Muster abgespielt hatte. Trostlos, dachte er, sich an Jesus zu klammern und seine Zeit auszusitzen, bis der Tod an die Tür klopft. Wahrscheinlich glaubten sie, irgendwann an Altersschwäche zu sterben, wo es doch ganz anders kommen sollte. Vor einem kleinen Wandschrank im Schlafzimmer blieb er stehen und blickte versonnen auf die Schuhe und Pantoffeln, die darin in Reih und Glied wie zum Appell auf dem Boden standen. Sein Vater war genauso: Ältere Menschen haben es gerne, wenn alles seinen Platz hat. In einer Ecke stand ein Korb mit Strickzeug – lange, silberne Nadeln und mehrere Knäuel Garn. Das überraschte ihn: Was in Gottes Namen strickte man in einer Gegend wie dieser? Einen Pullover?

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