Der Täter / Psychothriller
wie seine Kleider, hungrig zusah, wie Hühnchen und Kochbananen gegrillt wurden, wie Kinder spielten und wenige Meter davon entfernt ein Model sündhaft teure Abendroben und Juwelen trug, um damit vor einem Fotografen zu posieren.
Von der langen Mole aus konnte man meilenweit ins offene Meer hinaus sehen oder aber in entgegengesetzter Richtung die klare Skyline der City betrachten. Hinter dem Cut lag Fisher Island, ein Wohnviertel mit eigenem Fährdienst, in dem die Reichen, die sündhaft Reichen, unter sich waren. Auch Angler liebten die Mole, wenngleich der Strand selbst hier unten nicht zu den begehrtesten Stellen zählte. Da er nun mal an der Spitze von Miami Beach lag, gab es hier die höchsten Wellen, und die Brandungsrückströmungen waren gefährlicher als überall sonst. Einige Surfer lockte gerade das. Die Touristen wurden meistens angehalten, sich lieber an den ausgedehnten Sandstränden eine Meile weiter oben zu tummeln. Es gab einen Holzsteg, der zur Mole hinausführte. Von dort aus entdeckte Simon Winter auch sehr schnell die einsame Rettungsschwimmerstation.
Rund um den Strandwart-Hochsitz aus blassgrünem Holz zählte er ein halbes Dutzend Polizisten. Im selben Moment entdeckte er auch Rabbi Rubinstein und Frieda Kroner, die in vielleicht sechs, sieben Metern Entfernung standen und den Polizisten zusahen, die nicht recht zu wissen schienen, was von ihnen erwartet wurde. Ein einziger Mann von der Spurensicherung, der trotz der Hitze Schlips und Jackett trug, beugte sich über den Sand, doch Simon Winter konnte nicht sehen, was er dort überprüfte. Ein zweiter Mann war ähnlich beschäftigt, kehrte Winter jedoch den Rücken zu.
Er eilte hinüber, so dass seine Basketballschuhe auf den Holzbohlen ein Geräusch verursachten, das an den Hufschlag eines Pferdes erinnerte.
Der Rabbi drehte sich zu ihm um, während Frieda Kroner unverwandt auf die Polizisten starrte.
»Mr.Winter«, grüßte der Geistliche langsam. »Danke, dass Sie hergekommen sind.«
»Was ist passiert?«
»Sie haben uns angerufen, das heißt, Frieda.«
»Haben sie Mr.Silver gefunden?«
»Nein«, erwiderte Frieda Kroner, ohne sich von den Polizisten loszureißen. »Sie haben seine Kleider gefunden.«
»Was?«
Der Rabbi schüttelte den Kopf. »Der Polizist hat sie angerufen. Offenbar hat irgendein Jugendlicher versucht, in einem Einkaufszentrum eine Kreditkarte zu benutzen, und die Verkäuferin in der Abteilung für Videospiele befand, dass der Junge, der, wie sich herausstellte, in Wahrheit Ramón oder José oder Eduardo hieß, nicht wie ein Irving aussah, und so rief sie die Polizei. Der Teenager druckst herum, tischt erst eine, dann eine andere Geschichte auf, doch als jemand Klartext mit ihm redet, rückt er bald mit der Wahrheit heraus und sagt, er hätte diese Brieftasche mit der Kreditkarte gefunden. Sie glauben ihm nicht, aber er bleibt dabei, und so fahren die Beamten schließlich mit ihm hier raus, und er zeigt es ihnen.«
»Was?«
»Irvings Kleider. Am Strand, als hätte er sie dort abgelegt.«
»Und die Brieftasche?«
»Die lag obendrauf.«
Simon Winter nickte.
»Hier hat er ihn umgebracht«, erklärte Frieda Kroner leise.
Der alte Detective holte tief Luft und dachte:
Nein, das glaube ich nicht.
Er ließ die beiden stehen und lief eilig über den Sand. Mit jedem Schritt wuchs sein Zorn über seine Unfähigkeit und Dummheit. Doch mit jedem wütenden Schritt versuchte eine andere Stimme in seinem Innern, ihn zu beruhigen und zur Wachsamkeit zu ermahnen, denn vielleicht, dachte er, gibt es hier etwas zu erfahren, und er wusste aus seiner Zeit als Detective, dass Frustration mehr als irgendetwas sonst seine Beobachtungsgabe trübte.
Zwei der uniformierten Polizisten lösten sich aus der Traube und traten ihm in den Weg.
»Das hier ist ein abgesperrter Bereich, Senior«, verkündete einer von ihnen mit der Arroganz der Jugend.
»Wer leitet hier die Ermittlungen?«, erkundigte sich Winter in scharfem Ton.
»Der Detective. Und wer will das wissen?«, konterte der Streifenpolizist gereizt.
Winter war kurz davor, die Hand auszustrecken und den jüngeren Mann wegzuschieben, zögerte jedoch, und in dieser Sekunde hörte er eine Stimme, die ihm bekannt vorkam:
»Ich, Mr.Winter.«
Über die Schulter des jungen Beamten hinweg sah er, wie sich Walter Robinson langsam aus dem Sand erhob. Robinson machte dem jungen Uniformierten Zeichen. »Lassen Sie ihn durch.«
Simon Winter stapfte auf ihn zu. Walter Robinson reichte
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