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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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die Russen. Die hätten ihn erschossen. Peng! Ohne Prozess. Wer also dann?«
    »Sagen Sie es mir«, konterte Simon Winter.
    »Sein eigenes Volk. Dieselben Leute, die er ans Messer geliefert hatte«, antwortete Silver.
    »Allerdings natürlich nicht, wenn sie wussten, wer er war, richtig?«
    »Richtig.«
    »Wurden nicht die Kapos in den KZ s an die Behörden ausgeliefert?«, fragte Silver.
    Rabbi Rubinstein nickte. »Aber er muss um die Gefahr gewusst haben«, fügte er hinzu.
    »Also: Was hat er wohl gemacht?«
    Die drei alten Menschen sahen sich an. Einen Moment lang horchte Winter auf den Atem der drei. Es kam ihm so vor, als sprächen sie, stritten sie sich über die Frage, doch nicht mit Worten und Gesten, sondern indem sie ihre Vorstellungskraft vereinten und am Ende zu einer gemeinsamen Antwort fänden.
    Der Rabbi wischte sich langsam mit der Hand übers Gesicht. »Er musste zu einem von uns werden. Einem Überlebenden.«
    Frieda Kroner nickte. »Natürlich – wie sonst?«
    »Aber wie konnte er so tun als ob?«
    Irving Silver runzelte die Stirn. »Er war der Schattenmann! Er konnte tun und lassen, was er wollte!«
    »Aber …« Winter zögerte. »… Es muss noch andere wie ihn gegeben haben. Und die wurden gefasst.«
    »Meinen Sie? Keinen wie ihn. Ich glaube nicht.«
    »Aber wieso hier?«
    »Weil wir sein Volk sind!«
    »Niemand kannte uns besser als er! Das war sein Erfolgsgeheimnis. Wieso also sollte er Angst vor uns haben?«
    Rabbi Rubinstein erhob sich und nahm dabei den Band
Die Vernichtung der europäischen Juden
vom Tisch. Steins Brief flatterte zu Boden, doch niemand bückte sich danach. Der Wälzer lag schwankend auf seinen Händen. Er schlug ihn nicht auf, und Winter wurde klar, dass der alte Rabbi den Inhalt auswendig kannte.
    »Vergegenwärtigen Sie sich die Zeit«, begann er, »eine Zeit der Auflösungserscheinungen und Verkommenheit. Die Schoah, Detective, war wie eine gewaltige Maschinerie mit dem alleinigen Zweck, die Juden zu vernichten. Aber um diese Aufgabe, wie sie es nannten – in sämtlichen Reden, ihrer Propaganda, ihren Schriften sprachen sie immer wieder von der ›monumentalen Aufgabe‹, vor die sie gestellt seien –, um diese Aufgabe zu bewältigen, benötigten sie Hilfe. Alle mögliche Hilfe, von allen Seiten …«
    »Vom Papst, der sie nicht verurteilte …«, sagte Irving Silver.
    »Von den Alliierten, die ihre KZ s oder die Eisenbahnschienen nach Dachau und Auschwitz nicht bombardierten …«, fügte Frieda Kroner hinzu.
    »Von den nicht-jüdischen Völkern, den Polen und Tschechen, Rumänen und Italienern, Franzosen und den Deutschen, die zusahen und sie gewähren ließen. Streng genommen, Detective, bekamen sie auf die eine oder andere Weise Hilfe aus aller Welt. Sogar von einigen aus eben dem Volk, das sie vernichten wollten.«
    Simon Winter saß ruhig da und hörte zu.
    »Jetzt vergegenwärtigen Sie sich Auschwitz, Detective. Wenn die Nazis ihre Selektion vorgenommen hatten, musste jemand die Türen zu den Gaskammern schließen, und hinterher musste jemand die Leichen entfernen. Jemand musste das Feuer in den Öfen schüren, und jemand musste dafür sorgen, dass das ganze Räderwerk reibungslos lief. Oft genug waren diese Jemands wir selbst.«
    Der Rabbi sank wieder in seinen Sessel und hielt das Buch auf dem Schoß.
    »Wir haben ihnen geholfen, sehen Sie? Indem wir einfach nur lebten, indem wir alles taten, um am Leben zu bleiben, halfen wir ihnen perverserweise, die Maschinerie in Gang zu halten …«
    Er sah Mrs.Kroner und Mr.Silver an.
    »Hätte es etwas Rechtschaffeneres, Moralischeres geben können, im Angesicht des abgrundtief Bösen einfach zu sterben, Detective? Das sind Fragen, die den Philosophen keine Ruhe lassen. Ich bin nur ein alter Rabbi.«
    Er legte eine Pause ein, in der nur sein schwerer Atem zu hören war, dann sprach er weiter.
    »Es ist der schiere Wahnsinn – alles daran, Detective. Und sehen Sie sich die Welt an, in der wir heute leben. An manchen Tagen erscheint es einem so fern und liegt so weit zurück, dass man sich fragt, ob es tatsächlich passiert ist, aber dann wieder, nun ja, dann wissen Sie auf einmal, dass es greifbar nahe ist, immer noch lebendig, genauso abgründig böse und entsetzlich, und es wartet nur darauf, wieder aufzuerstehen.«
    »Der Schattenmann war der Schlimmste von uns allen«, fuhr der Rabbi nach einem kurzen Moment fort. »Er war schlimmer als die Nazis. Sogar schlimmer als diese seltsam bösen Dinge, über

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