Der Tag, an dem das Glück zurückkam (Bianca) (German Edition)
Atem an, während Lilly dastand und erwartungsvoll zu Alex aufblickte. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte gedacht, dass seine Hände zitterten.
Er rührte sich nicht, nur seine Blicke wanderten zwischen ihr und ihrer Tochter hin und her. Doch dann bewegte er langsam die Beine und stemmte sich in die Höhe. Er überragte Lilly um ein Vielfaches. Wie ein Bär neben einem Vogel.
„Okay“, sagte er unsicher.
Lilly griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her. Alex konnte gar nicht anders, als Folge zu leisten. Er wirkte dabei schicksalsergeben wie ein Tier, das zum Schlachter geführt wurde.
Von Lisa konnte er jedoch keine Hilfe erwarten. Dies war das erste Mal seit langer Zeit, dass Lilly Kontakt zu einem Fremden aufnahm. Lisa war es egal, wie unwohl ihrem Gast dabei zumute war. Dies war ein wichtiger Wendepunkt. Lilly hatte zwar nicht mit ihm gesprochen, aber sie wollte definitiv mit ihm kommunizieren.
Auf gar keinen Fall würde sie da dazwischengehen. Das konnte sie nicht.
Lisa nickte Boston zu, damit dieser den beiden folgte, dann hielt sie den Atem an. Entweder würde Alex bei erster Gelegenheit die Flucht ergreifen oder auf Lilly reagieren. Und beiden zuliebe hoffte sie, dass Letzteres eintraf.
Alex war zwar ein Fremder, und eigentlich war es seltsam, doch tief in ihrem Inneren hoffte sie, dass er zum Abendessen bleiben würde. Damit sie über William reden konnten. Über den Krieg.
Sie fühlte sich ihm schon dadurch verbunden, dass er in den letzten Jahren wahrscheinlich mehr Zeit mit William verbracht hatte, als sie selbst. Das war eine Gelegenheit, die sie nicht verstreichen lassen konnte.
Außerdem war sie einsam, auch wenn sie das ihrer Familie gegenüber nie zugeben würde.
Vor allem nachts.
Eigentlich war das früher schon so gewesen, aber da hatte sie wenigstens gewusst, dass sie das Haus irgendwann einmal gemeinsam mit William bewohnen würde. Dass er dann jeden Abend mit am Esstisch sitzen würde.
Lisa stellte ihren Kaffee mit zitternder Hand ab und beschloss, entgegen ihres ursprünglichen Vorsatzes, den beiden doch noch zu folgen. Nicht, weil sie Alex nicht traute. Sie wollte einfach sichergehen, dass es Lilly nicht zu viel wurde. Oder Alex.
Außerdem war sie im Moment Lillys Chefübersetzerin. Und darüber hinaus war sie neugierig darauf, wie das ungleiche Paar am Fluss miteinander zurechtkam.
2. KAPITEL
„War Lilly schon immer so still?“
Alex warf Lisa einen Blick zu, während sie zum Haus zurückgingen.
Sie waren am Fluss auf und ab spaziert, Alex hatte einen Stock ins Wasser geworfen, Lilly hatte in die Hände geklatscht und ihn Boston wieder entrissen, kaum hatte er ihn zurückgeholt.
Nicht, dass er Lilly viele Fragen gestellt hätte, als sie alleine gewesen waren – er wusste gar nicht, worüber er mit einem Kind reden sollte – doch für ein kleines Mädchen wirkte sie außergewöhnlich still.
„Seit Williams Tod ist sie praktisch stumm – jedem gegenüber, außer mir.“
Alex nickte. „Wie alt ist sie?“
„Sechs.“
Ihn hatte zwar interessiert, ob das kleine Mädchen in der Lage war, zu sprechen, aber wirklich darüber reden wollte er nicht.
Er wusste, was es hieß, eine schwere Kindheit zu haben und wollte das Thema nicht weiter antasten. Auch dann nicht, wenn es dabei um die Kindheit einer anderen Person ging. Mit seinem Eintritt in die Army hatte er versucht, all diese Erinnerungen und Gedanken hinter sich zu lassen.
„Heute hat sie allerdings einen guten Tag. Ich dachte erst, dass sie in Ihrer Gegenwart sehr schüchtern sein würde, aber das war überhaupt nicht der Fall“, sagte Lisa.
Alex gefiel, dass das Mädchen keine Angst vor ihm hatte, dennoch wollte er sich nicht zu sehr mit ihr anfreunden. Genaugenommen wollte er zu niemandem eine engere Beziehung aufbauen. Nicht einmal zu dem Hund.
„Boston hat ihr gegenüber einen ziemlichen Beschützerinstinkt“, meinte er.
Das brachte Lisa zum Lachen.
Am liebsten wäre er zurückgewichen. All das kam ihm viel zu real, zu normal vor. Dass er hier stand und einfach so mitredete, nachdem er sich lange Zeit den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie er seinen Besuch bei ihr verkraften würde. Sie jetzt auf diese Weise lachen zu hören …
„Dieser Hund ist ihr bester Freund. Ich weiß nicht, was wir ohne ihn getan hätten. Er ist Gold wert.“
Sie gingen weiter. Alex wusste schon wieder nicht, was er sagen sollte. Einerseits wollte er ins Auto steigen und wegfahren – irgendwohin,
Weitere Kostenlose Bücher