Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
den Kopf gesenkt. »Ist es nicht sonderbar, wie sehr Wohlergehen und Glück eines großen Volkes am Leben eines Mannes hängen, das so gefährdet ist und dessen Faden ein Messer zerschneiden kann?«
Der Gerichtsprozeß hatte mich zwei volle Tage von meiner lieben Herzogin ferngehalten, und sowie die Richter in die Beratung gingen, eilte ich zu ihrem kleinen Kabinett und staunte, daß sie mich, wie jedesmal, von Kopf bis Fuß in ihre schönsten Gewänder gewandet und mit ihrem schönsten Schmuck geschmückterwartete, denn es war ja klar, daß sie sich nur angekleidet hatte, damit ich sie auskleide. Doch glaube ich, daß sie jede Phase dieser Gewohnheit liebte: das Ankleiden und Erscheinen vor meinen geblendeten Augen ebensosehr wie das Auskleiden.
»Ach, mein Pierre«, sagte sie mit der reizendsten Schmollmiene, während ich ihr also als Kammerzofe diente, »Ihr vernachlässigt mich! Zwei Tage! Zwei lange Tage, ohne daß Ihr mich besuchtet! Noch ein Tag mehr, und ich hätte Euch vergessen!«
»Das glaube ich nicht, Liebste.«
»Sehe sich einer den Prahlhans an!« sagte sie, indem sie mir einen kleinen Nasenstüber gab.
»Liebste, ich prahle nicht. Ich beurteile Euer Herz nur nach dem meinen.«
»Ah! Das ist einmal nett!« sagte sie lachend. »Trotzdem, zwei Tage zogt Ihr mir die Gesellschaft dieser dickbäuchigen Richter vor.«
»Mein Engel, ich diente dem König.«
»Und wann dient Ihr mir?«
»Jetzt. Und bitte, mein Engel, hört auf mit Euren Stübern und Klapsen. Wie soll ich armer Geschlagener sonst mit diesen zahllosen Knöpfchen zu Rande kommen?«
»Das ist Eure Strafe. Ach, so liebe ich Euch: zu meinen Füßen und vor Ungeduld bebend.«
»Nicht zu Euren Füßen bin ich, nun, da alle Knöpfchen aufgeknöpft sind, vielmehr stehe ich hinter Euch und löse Eure Baskine, und den Teufel auch, wenn ich verstehe, wozu eine Schnur so viele Ösen braucht!«
»Diese weiblichen Geheimnisse gehen eben über Euren groben Männerverstand. Bitte, mein Pierre, macht schnell, diese verflixte Baskine bringt mich um.«
»Sie hat Euch aber nicht umgebracht, als man Euch schnürte.«
»Da dachte ich nur daran, schön zu sein.«
»Und jetzt denkt Ihr an anderes?«
»Erratet Ihr’s nicht?«
Die Baskine war gelöst, der letzte Unterrock zu ihren Füßen niedergefallen, das Zwiegespräch verstummt. Was mich angeht, muß ich gestehen, ich liebe meine kleine Herzogin, wenn sie vergnügt ist. Ich liebe sie, wenn sie sich erzürnt. Und ichliebe sie, wenn sie von einer Minute zur nächsten von Fröhlichkeit zum Zorn wechselt – je nach ihrer kapriziösen Laune. An jenem Tag nun wurde sie, nachdem wir uns geliebt hatten, ganz fuchtig, als ich fragte, wie es denn inzwischen mit den Verhandlungen zwischen den Abgesandten des Königs und denen ihres Sohnes Charles stehe. Ich weiß noch, wie sie die Brauen runzelte und ihre kleinen Fäuste ballte.
»Gar nicht gut! Überhaupt nicht gut! Auf seiten meines Sohnes Charles, ja, da habt Ihr Rochette und Péricard, zwei teuflisch gute Männer. Aber auf seiten des Königs – die drei größten Schafsköpfe der Schöpfung!«
»Und wer sind die, Liebste?«
Sie nannte sie mir, doch vergib, Leser, daß ich ihre Namen hier nicht preisgebe, denn sie sind zu ehrenwerte Leute, als daß ich sie auf meinen Seiten so lächerlich dürfte figurieren lassen, wie meine kleine Herzogin sie darstellte – anfangs wütend, bald aber selbst von ihrem Spiel belustigt. Denn auf meine Frage, wodurch diese »Schafsköpfe« sie denn dermaßen ärgerten, erhob sie sich vom Lager, schritt nackend, wie sie war, durchs Zimmer und mimte die unglücklichen Objekte ihres Zorns.
»Mit den dreien, mein Pierre«, sagte sie, »kommen wir niemals zu Stuhle! Der eine zieht zu jeder Forderung meines Sohnes, die Péricard und Rochette vortragen, eine Schippe und zuckt mit bedeutsamer Miene die Achseln, ohne je anderes zu sagen als: ›Das werden wir sehen‹ oder: ›Das muß näher besehen werden‹ oder: ›Anders wäre es besser‹!«
Worauf ich lachte, so drollig war es, wie sie, so klein und rundlich – und in ihrem Aufzug –, jene gewichtige Persönlichkeit nachahmte, die ich gut kannte.
»Der zweite«, fuhr sie fort, »schwatzt endlos, nur versteht niemand, was er meint, auch er selber nicht. Er könnte hundertmal ›Abrakadabra‹ sagen, und es käme aufs selbe heraus.«
Und mit ernster Miene und hocherhobenem Haupte wandelte meine kleine Herzogin auf und ab, wobei sie ein dutzendmal »Abrakadabra,
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