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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Blick auf Euch ungemein wuchs! Aber«, setzte ich hinzu, indem ich meinen Augen einen melancholisch umflorten Ausdruck gab, »da ich für Euch nichts weiter bin als ein Edelmann, den Euer Gemahl gefangenzusetzen für gut befand, so beliebt, Madame, mich zu beurlauben.«
    Hierauf machte ich ihr, ohne die Antwort abzuwarten, wie pikiert eine tiefe Verneigung und ging zur Tür.
    »Nur gemach«, rief sie in sanfterem Ton, »so wie im Oberstock der Gefangene meines Gemahls seid Ihr hier der meine. Und Ihr werdet nicht gehen, ohne mir erklärt zu haben, wie Ihr durch eine doppelt abgeschlossene Tür zu mir gelangen konntet.«
    Nun erzählte ich ihr, wie mein Knecht zu dem Schlüssel gelangt war, der ihre und meine Tür öffnete, aber leider nicht jene, die im Erdgeschoß auf die Gasse führte. Und während sie mir lauschte, beäugte sie mich auf ihre eigene Weise, indem sie den hübschen Kopf seitlich neigte und mich aus den Augenwinkeln betrachtete, was, wette ich, ihre schönen Augen in Geltung setzen und ihrem Blick etwas Bohrendes verleihen sollte, um die Aufmerksamkeit ihres Bewunderers zu bannen. Doch so stark mein Blick durch den ihren auch gebannt wurde, muß ich gestehen, daß er, wie schon gesagt, nicht selten abirrte, was sie sehr wohl bemerkte.
    »Marquis«, sagte sie, nachdem ich die Schlüsselfrage beantwortet hatte, die sie trotz ihrer Künstelei sehr interessierte, »Mar quis , wie seltsam Ihr doch seid! Was seht Ihr denn nur dort?«
    »Um es offen zu gestehen, Madame«, sagte ich, indem ich mich verneigte, »Euren Fuß! Weil es nämlich der lieblichste kleine Fuß der Schöpfung ist.«
    »Ach, Monsieur, laßt doch meinen Fuß!« sagte Madame de Saint-Paul, indem sie zugleich die Brauen runzelte und voll Entzücken lächelte.
    Wahrlich, das Talent, einander widersprechende Empfindungen gleichzeitig auszudrücken, habe ich stets nur bei Frauen beobachtet, weshalb ich geneigt bin, an die unendliche Subtilität dieses Geschlechts zu glauben.
    »Außerdem«, setzte sie hinzu, um nur das Thema nicht zu verlassen, »Füße hat doch jeder!«
    »Madame«, sagte ich, den Köder im Sprunge schnappend, »es gibt Füße und Füße. Bevor ich den Euren kannte, hing mein Blick an anderen Schönheiten einer Dame, ich schwärmte von ihrem Antlitz, ihrem langen Haar, ihrem rundlichen Busen, was weiß ich noch! Aber bis zum heutigen Tag begann meine Anbetung nie so bodentief.«
    »Monsieur«, sagte sie lächelnd, »Ihr müßt den Damen gefallen, Eure Zunge ist sehr gewandt!«
    »In der Tat, Madame«, sagte ich in bescheidenem, doch vielsagendem Ton, »hat man sich über mangelnde Gewandtheit meiner Zunge nie beklagt.«
    »Ha, Monsieur!« rief Madame de Saint-Paul mit sehr gekitzelter Miene und nonnenhaftem Kichern, »das ist zuviel! Ihr überschreitet die Grenze. Louison, hast du das gehört?«
    »Madame«, sagte Louison, die hinter der Bank ihrer Herrin stand und es wenig zu schätzen schien, welche Wendung mein Gespräch mit dieser nahm, »ich habe es gehört. Und ich muß sagen, daß es schon etwas schamlos ist von dem Herrn Marquis, in der Weise über den Fuß von Madame zu reden, der letzten Endes doch nur ein Fuß ist, zum Gehen da wie alle Füße. Was sonst?«
    »Still, Dummchen!« sagte Madame de Saint-Paul verärgert, »was verstehst du Bauerntrine von solchen Dingen; sie sind zu delikat für dein kleines Hirn!«
    »Madame«, sagte Louison gekränkt, »ich bin nicht so bäurisch dumm, wie Madame glaubt! Ich weiß, was ich weiß! Und ich finde, Madame hat reichlich Geduld, wenn sie erträgt, daß der Herr Marquis, der nicht mal ihr Verwandter ist, ihr Flausen über ihren Fuß vorredet. Warum nicht gleich das Bein? Und alles übrige, wo er einmal im Zuge ist!«
    »Unerhört!« rief Madame de Saint-Paul, rot vor Zorn und Scham, »du und deine Frechheit sind es, die ich nicht ertrage! Hinaus, dumme Gans! Auf der Stelle! In die Küche mit dir, da kannst du mit deinesgleichen schwatzen!«
    »Madame«, sagte Louison, indem sie ging, aber langsam und mit ebensowenig respektvoll gesenkten Augen, wie es ihr Ton war, »ich bitte Madame um Vergebung, aber meine Eltern waren gute und ehrenwerte Leute, die nicht dem erstbesten,und sei er ein Edelmann, erlaubt hätten, die Stelzen ihrer Tochter mit Worten derart zu begrabschen.«
    »Das ist die Höhe!« rief Madame de Saint-Paul, ergriff mit bewundernswerter Behendigkeit den einzigen ihr verbliebenen Pantoffel und warf ihn nach ihrer Zofe, was deren Rückzug etwas beschleunigte

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